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Realitätsfern: Die Debatte über die Trennung von Journalismus und PR

Was teurer sei, fragte mich vor einiger Zeit eine promovierte Biochemikerin: „eine Anzeige oder ein journalistischer Artikel?“ Die Frage löste zunächst Schockstarre bei mir aus. Wie konnte es sein, dachte ich, dass sogar bei einer Vertreterin der akademischen Oberschicht offenbar jegliche Medienkompetenz abwesend und das ethische Fundament der Branche, die Trennung zwischen Redaktion und Kommerz, unbekannt war?

Ist PR auch „eine Art Journalismus“?

An diese Anekdote musste ich denken angesichts der gerade wieder aufflammenden Debatte über die Trennung von Journalismus und PR. Ausgelöst wurde dieser Streit durch die aktualisierte Definition des Berufsbildes „Journalistin-Journalist“ seitens des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Hinnerk Feldwisch-Dendrup vermisst darin die klare Abgrenzung zur PR, wie er in der taz  schreibt.  Für DJV-Vorstand Frank Überall dagegen, im NDR-Medienmagazin Zapp, ist „PR auch eine Art Journalismus“.

Eine zu simple Zweiteilung der Medienwelt

Wenig überraschend forderte Überall  mit diesem Statement die dogmatisch wertkonservativen Kritikerinnen und Kritiker im Verband heraus, die sich über alle Zeitläufte hinweg und dem Medienwandel tapfer trotzend an die simple Zweiteilung ihrer Welt klammern: Gut ist in diesem Narrativ der uneigennützig aufklärende Journalismus; böse dagegen das manipulative Verführungswerk der PR-Leute. Einige Vertreterinnen und Vertreter dieses Lagers haben bei Twitter bereits wütend ihren Austritt aus dem DJV verkündet.

Eine zyklisch wiederkehrende Debatte

Ich war mehr als 20 Jahre Mitglied der GEO-Redaktion. Seit 2010 leite ich die Kommunikation der VolkswagenStiftung, der größten privaten Wissenschaftsfördererin in Deutschland. Ich bin also einer dieser Seitenwechsler, über die man jetzt so oft liest. Einer, der das Handwerk des Journalismus in der PR ausübt – ohne zu behaupten,  Journalismus zu betreiben. Ich tue dies übrigens mit großer Begeisterung und keineswegs so verschämt, wie ich es tun müsste, würde ich die selten schmeichelhaften Attribute persönlich nehmen, mit denen Noch-Journalisten die Ex-Journalisten in der PR geringschätzen.

Die gegenseitige Durchdringung ist längst real

Nach also gut dreißig Jahren im Mediengeschäft kenne ich die Debatte über die Unvereinbarkeit von Journalismus und PR gut, sie kehrt in Zyklen wieder und lässt die Emotionen auf beiden Seiten hochkochen. Was die aktuelle Debatte jedoch von allen vorangegangenen unterscheidet: Dieses Mal ist sie völlig sinnlos, weil die gegenseitige Durchdringung von Journalismus und PR längst Wirklichkeit geworden ist.

Das Publikum merkt keinen Unterschied

Für diese These steht als lebendes Indiz auch die eingangs zitierte Biochemikerin: Große Teile des Publikums, auch das als gebildet geltende, sind weder fähig noch willens einen Unterschied zu machen zwischen Journalismus und PR – und dem gattungsverwandten Marketing. Das hat gewiss damit zu tun, dass es keine Medienkunde an den Schulen gibt. Oder dass es nicht nur das junge Publikum ist, das sich beim Sichten von Newsfeeds in den sozialen Netzwerken für die Seriosität von Quellen keinen Deut interessiert.

Die Medienhäuser selbst machen die Grenze durchlässig

Was aber weniger häufig ins Feld geführt wird: Die Medienhäuser selbst haben die Grenze zwischen Redaktion und PR beharrlich perforiert. Sie mussten es tun, um jenseits von Anzeigen und Vertrieb dringend benötigte neue Erlösquellen zu erschließen. Dass der Sündenfall also längst vollzogen ist, wollen die Verfechterinnen und Verfechter der reinen Journalismus-Lehre aber nicht wahr haben.

  • Nach wie vor zeigen Redakteure mit dem Bäh-Finger auf PR-Menschen – während sie selbst mit Corporate Publishing-Abteilungen, die inzwischen von allen großen Verlagen gegründet wurden, unter einem Dach arbeiten.
  • Sie stellen mit stolzgeschwellter Brust ihre Unabhängigkeit als Tugend ins Schaufenster – und entwerfen gleichzeitig auf Geheiß der Verlagsleitungen mit Anzeigenkunden Kampagnen im Native Advertising.
  • Sie nehmen für sich in Anspruch, der Macht furchtlos und kritisch auf die Finger zu schauen – und spielen die Conferenciers und beflissenen Stichwortgeber für Industriegrößen und Banker, die auf Podien und als zahlende Gäste dazu beitragen sollen, die für die Wirtschaft kreierten Tagungen und Konferenzen ihrer Medienhäuser kommerziell erfolgreich zu machen.
  • Glauben die Chefredakteurinnen und -redakteure tatsächlich, Leserinnen und Leser würden keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem jubilierenden Artikel über eine Geschäftsneueröffnung und der viertelseitigen Anzeige des Geschäftsgründers auf derselben Zeitungsseite? Oder dass alle geilen Fotos im Autoteil von den Herstellern zur Verfügung gestellt wurden und die Fotos vom Tropen-Resort im Reiseteil vom Veranstalter (der auch die Reise des Berichterstatters bezahlt hat)? Wer mag an Zufall glauben, wenn es auf der Homepage des sogenannten Qualitätsmediums einen umfänglichen Schwerpunkt „Volkskrankheit: Allergien“ gibt, in dem wochenlang die Werbebanner einer bestimmten  Krankenkasse auftauchen?

 

Nein, liebe Journalistinnen und Journalisten, liebe Ex-Kolleginnen und -kollegen, die schlichte Zweiteilung der Medienwelt ist längst eine pure Fiktion. Das heißt nicht, dass ich für eine Aufweichung der definierten Rollen und Funktionen bin, die Journalismus und PR aus systemischen Gründen unterscheiden. Ich teile nicht die Meinung von Frank Überall, PR sei auch eine Art Journalismus. Aber ich fände es konstruktiv, wenn beide Lager unverkrampfter miteinander kommunizieren würden. Die nötige Reflexion, ausgelöst von der Debatte um die Berufsbild-Definition des DJV, könnte beitragen, unser Miteinander, meinetwegen auch friedvolles Nebeneinander in einer Medienzukunft zu gestalten, die ohne jene stattfinden wird, die die dogmatische Trennung zwischen Journalismus und PR für die Stabilisierung ihres Selbstbildes brauchen.

Die Zukunft wartet nicht auf uns. Die kommt. So der so.

 

Grenzwerte-Debatte: Was Wissenschafts-PR und Journalismus aus der Lungenärzte-Affäre lernen können

Malte Kreutzfeldt, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der taz, ist der Held der Woche. Und Dieter Köhler, der pensionierte Lungenarzt, der ein paar Tage lang der gefragteste Interviewgast der Republik war, gilt nun bloß noch als ein bis auf die Knochen blamierter Querulant aus der Provinz.

Was ist geschehen?

Nun, Kreuzfeldt hat das getan, was fast alle anderen Journalisten unterlassen haben: Er hat nachrecherchiert, was Köhler in seinem umstrittenen „Positionspapier“ zum Besten gab, hat ergänzend ältere Köhler-Artikel gegoogelt und nachgerechnet, mit welchen „Fakten“ der streitbare Rentner die Befunde der internationalen Wissenschaft in Sachen Stickoxiden und Feinstaub widerlegen wollte. Und dabei stellte Kreuzfeldt fest: Köhler hatte sich um Kopf und Kragen verrechnet. Was für Laien wie wissenschaftlich fundierte Herleitungen aussah, entpuppte sich bei Kreuzfeldts akribischer Überprüfung als purer Blödsinn. Dabei hätte es das Nachrechnen gar nicht gebraucht. Beim Science Media Center hatten internationale Fachwissenschaftler schon frühzeitig Köhlers Attacke mit Verweisen auf unwiderlegbare Studien pariert. Nur wurde dieser dezente Widerspruch in der medialisierten Öffentlichkeit nicht gehört.

Steile Themenkarriere, steiler Absturz

Seit Köhlers Enttarnung hageln nun Hohn und Spott auf ihn und seine Sympathisanten. Daran haben auch seine jüngsten Rechtfertigungsversuche nichts geändert. Vorn dabei: die selben Medien, die kurz vorher noch wetteiferten, um Köhler im O-Ton zu präsentieren. Den Kritikern von Grenzwerten kam die von den Medien befeuerte Debatte gerade recht. So machte sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Köhlers Argumente sofort ungeprüft zu eigen. Das „Positionspapier“ des Lungenarztes wollte er, im übertragenen Sinne, seinen Amtskollegen in Brüssel um die Ohren hauen, damit die Diskussion um Tempolimits oder gar Fahrverbote in den Innenstädten in seinem Sinne ein für allemal beendet würde.

Am Ende gibt es viele Verlierer

Daraus wird nun nichts werden. Die Befunde der Scientific Community bleiben offenbar unwiderlegt. Aber kann man deshalb von einem Sieg der Wissenschaft über populistische Faktenverdreher sprechen? Nicht wirklich. Denn was wir in den letzten zwei, drei Wochen erlebt haben, ist nicht bloß eine Posse. Einmal mehr wurden bedenkliche Dysfunktionen einer hypermedialisierten Gesellschaft offenkundig. Und am Ende gibt es mehr Verlierer zu beklagen, als bloß Dieter Köhler aus Schmallenberg im Hochsauerlandkreis.

Das Medienklischee vom Kampf David gegen Goliath

Da ist zum einen die Wissenschaft selbst, die in der öffentlichen Debatte zu lange unsichtbar blieb, obwohl sie die validen Argumente auf ihrer Seite hatte. Da sind aber auch die Medien, die ein Faible für polarisierende David-gegen-Goliath-Geschichten haben und es deshalb Köhler freimütig gestatteten, gleichsam als Einzelkämpfer gegen die geballte Fachforschung zu Felde zu ziehen. Verloren hat aber auch die Öffentlichkeit, nämlich den Glauben an die Deutungskompetenz von Medien und Wissenschaft. Und an die Glaubwürdigkeit beider.

Hätte es überhaupt besser laufen können?

Hätte es anders laufen können?  Josef Zens, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen GeoForschungsZentrum, ist skeptisch. In seinem lesenswerten Blogbeitrag sieht er zwei strukturelle Hürden: Wissenschaft sei stets auf Gründlichkeit bedacht, auf die strikte Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis – und darum seiner Meinung nach gar nicht darauf vorbereitet, in Konfliktlagen tagesaktuell zu reagieren. Punkt zwei: Den Medien mangele es an Selbstkritik – und allein deshalb werde sich am Hang zum Themenhype und Zuspitzung auch in Zukunft nichts ändern.

Zens kritisiert, ich hätte in meinem Blogbeitrag, ähnlich wie später Ulrich Schnabel in der ZEIT, einseitig der Wissenschaft Versäumnisse beim Krisenmanagement vorgeworfen. Dabei hätte, so Zens, …

„… die Wissenschaft (…) doch längst alle Fakten zum Feinstaub gesammelt. Hat sie dokumentiert und mitgeteilt – in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin aus dem November 2018. Hätte man sich ergoogeln oder erbingen können. Oder erfragen. Anrufen und Fragen stellen ist zwar „old school“ und manchmal mühsam, aber – ich glaube, der Fachbegriff heißt Recherche – es sollte zu den Grundtugenden einer Redaktion gehören. Wobei: Was rede ich von Tugend? Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von Journalist*innen, zu recherchieren.“

Diesem Statement kann man nicht widersprechen. Trotzdem bleibt für mich die Frage von Bring- und Holschuld. Also: Liegt es nicht im ureigensten Interesse der Wissenschaft, sich in der Öffentlichkeit wahrnehmbar zu positionieren, wenn in Konfliktlagen, häufig durch die Mitwirkung von Medien begünstigt, ihre Glaubwürdigkeit attackiert wird? Oder soll man dem Schicksal freien Lauf lassen und darauf hoffen, dass irgendwann ein wissenschaftlich geschulter Redakteur der taz seine knapp bemessene Arbeitszeit zufällig in die Aufgabe investiert, den Wahrheitsgehalt einer privaten Presse-Erklärung zu überprüfen (denn mehr ist das „Positionspapier“ von Köhler & Co. nie gewesen)?

Wir müssen wieder mehr über Handwerk reden

Nachdem sich der Staub gelegt hat, sollten Wissenschaft, PR-Verantwortliche und Wissenschaftsjournalisten sich jetzt nicht gegenseitig Schuld zuweisen. Da stimme ich Josef Zens einmal mehr zu. Der Vorfall könnte, nein, er sollte ein Anlass sein, in einen offenen Dialog einzusteigen. Sich also offen darüber auszutauschen, in welchen Fragen man sich von der jeweils anderen Seite mehr Verständnis, mehr Kompetenz, mehr Verantwortung, wünschen würde – und mehr ehrliche Selbstkritik. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass sich solche Vorgänge wiederholen. Auch wenn man sie gewiss nicht verhindern kann. (Über das Verhältnis von Wissenschafts-PR und -journalismus gibt es aktuelle Gastbeiträge im Blog von Reiner Korbmann.)

Ach ja, und Malte Kreuzfeldt sollte bitte dieses Jahr für einen fetten Journalismuspreis nominiert werden. Und das Team vom Science Media Center auch.  Beide haben sich um das Ansehen der Wissenschaft verdient gemacht – selbst wenn sie das vermutlich weit von sich wiesen, weil unabhängiger Journalismus sich mit niemandem gemein macht. Sonst wäre er ja nicht unabhängig…

 

 

 

 

 

 

Grenzwertedebatte: Warum blieben die Experten unsichtbar? – Zum ZEIT-Artikel von Ulrich Schnabel

Eine aufregende Woche im Zeichen der Grenzwerte-Debatte liegt hinter uns. Und vor uns Akteuren der institutionellen Wissenschaftskommunikation liegen nun Wochen mit Aufräumarbeiten und der Suche nach Antworten auf die Frage: Wie konnte das passieren? Vor allem aber: Was lernen wir daraus für die Zukunft? – Ich jedoch bedanke mich an dieser Stelle erstmal bei 2000 Leserinnen und Lesern für ihr Interesse an meinem Blogposting „Streit um Grenzwerte: Warum die Wissenschaft schweigt und der Siggener Kreis recht hat“.

Ulrich Schnabel hat den Vorgang im Wissenschaftsteil der heutigen Ausgabe der ZEIT nochmal aufgegriffen („Warum blieben die Experten unsichtbar?“) und startet seine Analyse mit einer Bewertung, die ich auf keinen Fall für übertrieben halte:

„Sie dürfte in die Lehrbücher eingehen – als Beispiel dafür, was bei einem öffentlichen Streit aus Sicht der Wissenschaft alles schief laufen kann. Die Stickoxid-Debatte zeigt, wie ein pensionierter Arzt eine ganze Forschungsdisziplin in die Defensive drängen, etablierte Erkenntnisse als unsicher erscheinen lassen und quasi über Nacht die deutsche Luftreinhaltepolitik ins Wanken bringen kann.“

Auch Schnabel kritisiert, dass die angegriffenen Institutionen viel zu lange gebraucht hätten, um öffentlich Stellung zu nehmen. Mir hatte das betroffene Helmholtz Zentrum München zwei Tage nach Veröffentlichung meines Blogeintrags gemailt: „Uns ist bewusst, dass eine fast einwöchige Wartezeit in der heutigen Medienlage eine lange Zeit ist, dennoch war diese Spanne notwendig, um die internationale Abstimmung zu koordinieren und die aktuellen Diskussionspunkte sauber zu adressieren.“

Weniger Komplexität, mehr Schlagkraft

Ich weiß aus den Gesprächen mit Pressestellen, wie langwierig und umständlich es ist, eine Stellungnahme publikationsreif zu bekommen, inklusive aller Korrekturschleifen, redaktionellen Eingriffe und hierarchisch gestaffelter Vorbehalte und Einschränkungen. So ist das Procedere im Normalfall. Und wie ist es im Krisenfall? Offenbar noch umständlicher! Denn das Helmholtz Zentrum mochte sich nicht allein auf die Expertise im eigenen Haus verlassen – obwohl man doch selbst jene Studie erstellt hatte, die der pensionierte Pneumologe Dieter Köhler und seine Truppe in den Mittelpunkt ihrer Kritik gestellt hatten -, sondern man bestellte sich zur Verstärkung eigener Positionen noch Expertise im Ausland. Komplexität statt Schlagkraft. Das Resultat, wiederum mit Schnabels Worten: „…eine für Laien schwer verständliche Stellungnahme auf der Homepage…“

Es fehlt: ein Masterplan

Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Pressestellen ein paar extrem ungemütliche Tage hinter sich haben. Deshalb liegt mir nichts ferner, als an ihrem Wirken Kritik zu üben. Es geht um mehr. Nämlich um die Frage, wie sich die Wissenschaft künftig aufstellen will, um populistisch motivierte Attacken zu parieren, die auf eine Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit zielen. Das ist keine Frage des Tagesgeschäfts, sondern der strategischen Weitsicht. Nichts womit man einzelne Hochschulen, Forschungsbereiche oder Außeruniversitäre allein lassen darf, sondern was nach einem Masterplan verlangt. Dieses Mal waren es Stickoxide und Feinstaub. Morgen geht es vielleicht wieder um den anthropogenen Klimawandel. Danach dann um die Frage, warum die Wissenschaft überhaupt öffentliche Gelder in Milliardenhöhe erhält, wenn man (als Systemfremder) gar nicht weiß, wofür sie das Geld ausgibt.

Wer zu langsam reagiert, verliert

Der Populismus hat schlichte Antworten auf jede Frage parat. Auch darin unterscheidet er sich völlig von der Wissenschaft, die nach evidenzbasierter Erkenntnis strebt und Meinungsvielfalt tapfer aushält. Doch in der heutigen medialisierten Debattenkultur bleibt Angegriffenen für eine Gegenwehr wenig Zeit. Wer nicht schnell auf vielen Kanälen Contra gibt, wird nicht gehört. Das erzeugt gewaltigen Anpassungsdruck in einem System, das am liebsten jedes Statement, auch im Krisenfall,  erst mal in einen Peer Review -Prozess geben möchte, bevor man mit einer Erklärung in die Öffentlichkeit geht.

Der Wandel muss vielfältig sein

Otmar Wiestler, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, sagt im Artikel von Schnabel, man müsse „schneller sprechfähig werden“. Zweifellos die richtige Folgerung aus dem, was wir in den letzten zwei Wochen erlebt haben. Doch wie geht es nun konkret weiter? Wie wird das  System „schneller sprechfähig“, wenn Forscherinnen und Forscher mangels Medientrainings kaum darin geübt sind, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen? Oder das auch gar nicht wollen? Oder sich nicht trauen, weil sie fürchten, von Fachkolleginnen und –kollegen schief angeguckt zu werden; Öffentlichkeitsarbeit ist nach wie vor keine Beschäftigung, die im Wissenschaftssystem großflächig wertgeschätzt wird.

Zielgruppen besser verstehen

Ich bin sicher, kluge Köpfe in der institutionellen Wissenschafts-PR werden nun Zukunftskonzepte entwickeln, um populistischen Attacken schlagkräftiger und aufmerksamkeitsstärker entgegenzutreten. Um von einem breiten Publikum künftig besser verstanden zu werden, dürfte es sich lohnen, nicht nur auf Plattformen und in den sozialen Medien format- und zielgruppenspezifischer unterwegs zu sein. Es wird die unverzichtbare Reduktion von Komplexität, sein, die den Forscherinnen und Forschern und ihren Führungsebenen die meiste Überwindung abverlangt.

.Mehr Handlungsfreiheit für Pressestellen

Den unvermeidbaren Wandel könnten diese Akteure gewiss ein ordentliches Stück beschleunigen, wenn sie ihren Pressestellen mehr Vertrauen schenkten und Verantwortung für die Krisenkommunikation dorthin delegierten. Damit im Notfall nicht wieder eine Woche vergeht, bevor die interessierte Öffentlichkeit die wasserdicht geprüfte Sicht der Wissenschaft auf strittige Themen kennenlernen darf.

Daran anknüpfend und als Schlusswort nochmal Ulrich Schnabel in der ZEIT:

„Eine Woche ist in der heutigen Erregungsgesellschaft eine Ewigkeit. Wer sich da mit detaillierter Quellenarbeit aufhält, wirkt wie ein Feuerwehrmann, der angesichts eines brennenden Hauses eine penible Aufstellung aller verbauten Holzarten anfordert.“

Streit um Grenzwerte: Warum die Wissenschaft schweigt und der Siggener Kreis recht hat

Der Zeitpunkt war gut gewählt, um sich größtmögliche Aufmerksamkeit zu sichern. Gerade erst hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Expertinnen und Experten seiner eigenen Arbeitsgruppe „Klimaschutz im Verkehr“ spektakulär diskreditiert: Gegenüber dpa erklärte er, das vorgeschlagene Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen sei gegen jeden Menschenverstand“. Da legt der 70-Jährige Lungenfacharzt, Diplom-Ingenieur und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie DGP (= Lungenheilkunde), Dieter Köhler, nach. In einer mit seinem Namen versehenen „Stellungnahme“ werden die geltenden Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub scharf attackiert. Besonders im Visier: eine Studie, die das Umweltbundesamt beim Helmholtz Zentrum München in Auftrag gegeben hatte, und die dem Amt seit dem März 2018 dazu dient, die Emissionsgrenzwerte im Straßenverkehr in der Öffentlichkeit zu verteidigen.

Wissenschaftlicher Unfug?

Köhler unterstellt der Expertise einen „systematischen Fehler“, Daten würden zudem „extrem einseitig interpretiert“. Kurzgefasst: Aus Köhlers Sicht sind die Befunde von Helmholtz und Umweltbundesamt wissenschaftlich wertlos und die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub unsinnig. Diesem Urteil sollten sich bitte auch die 3800 DGP-Mitglieder per Unterschrift anschließen. Doch weniger als drei Prozent mochten ihrem früheren Cheflobbyisten folgen. (Eine kritische Würdigung der Stellungnahme gibt es bereits bei Wikipedia.)

Im Nu im Rampenlicht

Fassen wir kurz zusammen: Ein seit fast sechs Jahren im Ruhestand befindlicher Mediziner publiziert mit drei Co-Autoren, von denen zwei Ingenieure sind, eine „Stellungnahme“ unter seiner Privatadresse, ohne institutionelles Mandat, auf zwei Seiten ohne Briefkopf; im Grunde nichts weiter als ein Leserbrief. 97 Prozent der Mitglieder seines Fachverbands verweigern ihre Unterschrift. – Und abends ist Köhler im heute journal zugeschaltet, wo er im Gespräch mit Claus Kleber die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub freundlich lächelnd und unwidersprochen als wissenschaftliche Hysterie abhaken darf. Seither ist Köhler wohl schon in jedem Medium der Republik zu Wort gekommen.

Wissenschaftsjournalisten betreiben Gegenaufklärung

Ich habe nicht vor, das Positionspapier von Köhler & Co in den wirklich relevanten Forschungskontext einzuordnen. Das haben gottlob dazu berufene Wissenschaftsjournalisten längst getan, zum Beispiel Joachim Müller-Jung in der FAZ das Science Media Center in Köln bis hin zu Buzzfeed. Sie haben nachgeholt, was Claus Kleber in seinem TV-Gespräch mit Köhler nicht geleistet hat: Köhler auf Augenhöhe mit Fachexpertise herauszufordern, denn Kleber ist kein Wissenschaftsjournalist.

So haben sich also zum Glück Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten gefunden, die im Nachhinein die Dinge zurechtrückten und versuchten, wozu das Wissenschaftssystem kurzfristig nicht in der Lage war: der interessierten Öffentlichkeit die komplexe Materie näher zu bringen und dabei auch widerstreitende Meinungen innerhalb der Wissenschaft nicht zu verschweigen. Zugleich waren sie es, die die Reputation der Wissenschaft verteidigt haben. Denn das ist die Frage, die mich seit Tagen beschäftigt: Warum nehmen es wissenschaftliche Institutionen widerspruchslos hin, dass ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit von populistischen Politikern, Lobbyverbänden, oberflächlich informierten Medien und profilierungssüchtigen Multiplikatoren im Handstreich demontiert werden?

Das Wissenschaftssystem schweigt

Mit solchen Fragen landen wir zwangsläufig bei dem ebenfalls frisch publizierten, neuesten Papier des Siggener Kreises. Bei der letzten Zusammenkunft dieses Think Tanks von Akteuren aus der Wissenschaftskommunikation im Oktober 2018 ging es, kurz gefasst, darum, wie Wissenschaft ihre Integrität bewahren und der Gesellschaft durch Kommunikation „das nach möglichst objektiven Kriterien jeweils beste verfügbare Wissen über die Welt zur Verfügung“ stellen kann. Weiterhin heißt es: „Wissenschaft „muss auch in der politischen Debatte aktiv sein und Positionen beziehen – (besonders) wenn wissenschaftliche Ergebnisse falsch interpretiert, aus dem Kontext gerissen oder gar missbraucht werden.“

Trifft diese Beschreibung auf die aktuelle Lage zu? Ich finde, ja. Gewiss gehört die leidenschaftliche Kontroverse zum wissenschaftlichen Erkenntnisprozess dazu. Niemand ist im Besitz der einzigen Wahrheit. Aber wenn nur diejenigen in einer Debatte zu hören sind, die am lautesten schreien und die einfachsten Antworten parat haben, dann ist der Wurm drin.

Köhlers Papier spielt Lobbyisten in die Hand

Wenn sich die Wissenschaft vornehm zurückhält, überlässt sie Akteuren das Feld, die wissenschaftliche Befunde aushebeln wollen, um eigene, zumeist politische oder ökonomische Interessen durchzusetzen. Und sie lässt einer Entwicklung freien Lauf, die Partikularinteressen bedient, aber nicht dem Allgemeinwohl dient. So hat Verkehrsminister Scheuer mit Bezug auf Köhlers Papier bereits angekündigt, die Grenzwerte nun auf EU-Ebene in Frage zu stellen (um am langen Ende Dieselfahrverbote zu verhindern). Die Mittelstandvereinigung der Union fordert ein Moratorium für Grenzwerte und Dieselfahrverbote. Die Autoindustrie wird dem streitbaren Pensionär aus der Lungenmedizin Lorbeerkränze flechten. Und die Öffentlichkeit weiß schon lange nicht mehr, wem sie überhaupt noch was glauben soll.

Für das Ansehen der Wissenschaft ist das eine toxische Lage. Nur scheint dies in den Führungsetagen der großen Wissenschaftsorganisationen und –verbände niemanden zu beunruhigen. Bis zum heutigen Tag findet sich auf den Homepages des Umweltbundesamtes und des heftig kritisierten Helmholtz Zentrums in München keine Stellungnahme zu den Vorwürfen Es heißt sogar, dass das Helmholtz Zentrum München Anfragen von Journalisten unbeantwortet zurückgewiesen habe. Krisenkommunikation – und über nichts anderes reden wir hier! – sieht anders aus. (Aktualisierung: Am 30.1. haben Helmholtz Zentrum und Umweltbundesamt jeweils Stellungnahmen publiziert.)

Und so bleibt, wie stets, die Frage: Was tun?

Wird nach den Grenzwerten der Klimawandel abgeschafft?

Ich persönlich wünschte mir, „die Wissenschaft“ hätte ihre Verantwortung als Mitgestalterin der Gesellschaft und deren Zukunft ernster genommen und sich in der Debatte prominent zu Wort gemeldet. Doch darauf ist das System in all seiner Komplexität offenbar gar nicht vorbereitet. Tagesaktuelle Diskurse erfordern eine schnelle Abstimmung von Positionen und eine institutionenübergreifende Verbreitung. Sonst entfalten Stellungnahmen keine Sichtbarkeit. Diesen konzertierten Aktionen stehen aber jede Menge Eigeninteressen und Eigenarten der Institutionen und Verbände entgegen. Kann man sie überwinden?

Ich glaube, es führt daran kein Weg vorbei. Denn Nachrichtenlagen wie die aktuelle werden sich häufen. Der Bedarf an auch für Laien nachvollziehbarem, schnell verfügbarem Orientierungswissen aus der Wissenschaft wird weiter wachsen. Noch leisten Wissenschaftsjournalisten unverzichtbare Aufklärung, doch wie lange noch? Die Kommunikationsverantwortlichen müssen ihre Leitungsebenen viel stärker motivieren, mit dem vielbeschworenen „Dialog auf Augenhöhe“ endlich Ernst zu machen. Und Gräben zwischen Organisationen, Disziplinen, Lehrmeinungen pragmatisch zu überbrücken, wenn es darum geht, mit einem gemeinsamen, kraftvollen öffentlichen Auftritt die Unabhängigkeit und „Wahrhaftigkeit“ von Wissenschaft gegen Meinungsmacher und Realitätsverzerrer zu verteidigen.

Sonst überlassen wir den Manipulatoren und Ideologen das Feld. Und die werden nun, nachdem sie die evidenzbasierte Wissenschaft in der Feinstaub- und Stickoxid-Debatte quasi über Nacht in die Defensive gedrängt haben, mit frischer Zuversicht ein altes Ziel neu in Angriff nehmen: die Entlarvung des anthropogenen Klimawandels als wissenschaftliches Hirngespinst.

Wissenschaftler findet: Wissenschaft braucht keine Öffentlichkeit

Unter der Überschrift „Der Weg zur Wahrheitsfindung“ hat der Kölner Philosophie-Professor Thomas Grundmann in der aktuellen duz einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben. Ich zitiere: „Laien vertrauen Experten, weil sie innerhalb des Expertensystems durch Ausbildung, Ämter oder Auszeichnungen anerkannt werden.“ Deshalb sollte ein  Laie auch „keine fachlichen Überlegungen gegen Experten anstrengen“, „denn das Vertrauen in die Experten ist der zuverlässigste Weg der Wahrheitsfindung.“

Ist das also die Lösung der gegenwärtig heiß diskutierten Krise des Expertentums: Lieber nicht selbst denken, auch in fachfremden Kontexten, sondern sich einfach auf jene verlassen, die von sich behaupten, zu wissen, was wirklich wichtig ist?

Bestimmt geht Thomas Grundmann davon aus, dass sein Kommentar Widerspruch erfahren wird. Ich fange mal damit an. Der Beitrag ist insofern mutig, als er selbstbewusst und dezidiert einer Hauptforderung widerspricht,  die gegenwärtig an die Wissenschaftskommunikation gerichtet wird: die Bürgerbeteiligung. Der fast schon sprichwörtliche Dialog auf Augenhöhe, nach dem längst auch die Spitzen des Wissenschaftssystems in ihren Reden vielfach rufen.

Thomas Grundmann allerdings hält das für keine gute Idee. Im Gegenteil: „Demokratische Ideale“ lassen sich seiner Meinung nach nicht auf das System Wissenschaft übertragen, ohne dort Schäden anzurichten: „Wissenschaftler sehen sich der Forderung nach Allgemeinverständlichkeit ausgesetzt. Wissensdiskurse gelten als illegitim, sobald sie nicht mehr auf Augenhöhe stattfinden. Aber diese demokratische Kritik an den Asymmetrien der Wissensgesellschaft legt den falschen Maßstab zugrunde und untergräbt systematisch das Vertrauen in Experten und Wissensautoritäten.“

Denn, so fasse ich in meinen eigenen Worten Grundmanns Fazit zusammen, wenn die Meinung des Experten nicht mehr als die richtungsweisende gilt, weil qualitativ gesichert, und jedermann, vor allem im Netz, herausposaunt, was ihm selbst plausibel erscheint, – dann erst geht das Vertrauen in Experten wirklich verloren.

Für uns, die wir in der Wissenschafts-PR arbeiten, sind die Thesen von Thomas Grundmann starker Tobak. Aber ich bin mir sicher, dass viele im System Wissenschaft zustimmen. Denn sie werden davon in einer Haltung bestärkt, die wohl immer noch die überwiegende ist: Dass die Wissenschaft summa summarum doch alles richtig macht. Kein Grund also, sich selbstkritische Fragen zu stellen. Erst recht nicht von Laien.

Grundmanns Kommentar erinnert mich an eine Keynote, die die Kommunikationsforscher Frank Marcinkowski und Matthias Kohring auf Einladung der VolkswagenStiftung hielten (#wowk14). Der Titel ihres Vortrags: „Nützt Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft?“ Und ihr Fazit, auf den Punkt gebracht: nein.

„Die Funktion von Wissenschaft ist es offenbar, Sätze zu formulieren die – ein bestimmtes Verständnis von Wahrheit und akzeptierter Methoden ihrer Begründung unterstellt – als wahr gelten und daher als besonders geeignet, menschliches Handeln anleiten zu können. Fest steht dann: Der epistemische Prozess selbst, der Prozess der Zuschreibung von Wahrheitswerten auf Aussagen, bedarf weder der öffentlichen Sichtbarkeit, noch bedarf er der Zustimmung Dritter – schon gar nicht aller denkbaren Dritten. Ob eine Aussage als wahr oder falsch gilt, wird innerhalb der Wissenschaft, in der Regel innerhalb der epistemischen Öffentlichkeiten, der sogenannten Scientific Communities, entschieden.“ (Marcinkowski/Kohring)

Alle drei zitierten Wissenschaftler behaupten nicht, dass Experten unfehlbar seien. Dass einzelne „interessengeleitet oder bestochen“ sein könnten, schließt auch Grundmann nicht aus. Was aber nicht erwähnt wird: Dass Wissenschaft in gefühlt stetig wachsendem Maß mit Widerrufen von peer-reviewed Artikeln Schlagzeilen macht, mit manipulierten Studien und von der Industrie initiierten, wissenschaftlich aber fraglichen Gutachten. Erinnert sei an die von der Autoindustrie in Auftrag gegebenen Tier- und Menschenversuche. So untadelig und selbstregulierend funktioniert das System Wissenschaft also nicht.

Dass Grundmann am Ende seines Kommentars dazu aufruft, das Vertrauen in Experten und Autoritäten zu stärken, ist unbestritten. Nicht aber die Maßnahme, die er vorschlägt: „Deshalb sollte die Öffentlichkeit aufgeklärt werden, dass sich die Spielregeln der Wissensgesellschaft und der Demokratie unterscheiden.“

Ist das die richtige Haltung, um die wachsende Spaltung in Teilbereichen unserer Gesellschaft zu kitten?

 

Staatskohle für Startups im Journalismus!

Vor allem im Online-Journalismus rollt die Gründerwelle, aber selten ein Rubel. Das Geschäftsmodell: Selbstausbeutung. Wer könnte finanziell helfen? Die Öffentlich-Rechtlichen!

Wer nur über den Niedergang im Journalismus jammert, verstellt sich den Blick auf Tröstliches, nämlich die beharrlich wachsende Zahl der journalistischen Startups in Deutschland, vor allem im Online-Journalismus. Ob Correctiv, Hostwriter, Coda Story, RiffReporter oder demnächst Republik: Immer mehr Journalistinnen und Journalisten wagen bewundernswerterweise den Weg ins freie Unternehmertum – und damit auch die Fahrt in einer finanziellen Geisterbahn.

Denn ungeachtet der Vielfalt an Ideen und Konzepten, in einem sind alle Projekte gleich: Sie stehen vom ersten Moment an mit einem Fuß in der Pleite. Marktübliche Refinanzierung über Werbung und Abos funktioniert mangels Masse nicht. Und überhaupt: Wer betrachtet Journalismus noch als eine veritable Dienstleistung, für deren Inanspruchnahme der Kunde zu zahlen hat?

Betteln auf Crowdfunding-Plattformen

Alle digitalen Bezahlmodelle (Later Pay, Schranke, Freemium etc.) haben die Erwartungen bislang nicht erfüllt. Und die Bettelei auf Crowdfunding-Plattformen und bei wohltätigen Stiftungen ist auch kein Ersatz für ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Flyerfoto RiffReporter

Eines von zahlreichen Startups im Journalismus: RiffReporter

Dass sich Startups überhaupt halten und die Gründerwelle anhält, beruht auf dem schlichten Prinzip freiwilliger und dauerhafter Selbstausbeutung. Als Newcomer, ohne etabliertes Medienunternehmen im Rücken, lässt sich gesellschaftlich relevanter Journalismus nicht refinanzieren. Das kann man sich dann nur als WG-Bewohner(in) ohne Familie leisten.

Alle journalistischen Neugründungen, zumindest die im Internet, werden dauerhaft auf Subventionen angewiesen bleiben. Doch woher soll die Kohle kommen? Meiner Ansicht nach von dort, wo das Geld immer her kommt, wenn es einer wichtigen Branche ökonomisch schlecht geht: von der öffentlichen Hand.

Subventionen für den Journalismus? Warum nicht?

Das Budget der Öffentlich-Rechtlichen ist trotz gegenteiliger Beteuerungen mit zuletzt 8,1 Mrd. Euro Gebühreneinnahmen nach wie vor üppig bemessen. Warum nicht fünf Prozent davon abzweigen, um ein großes Lab für die Förderung journalistischer Start-Ups ins Werk zu setzen?

Die Idee ist nicht neu und wurde schon früher niemals ernsthaft verfolgt, weil Lobbyisten und die Beharrungskräfte im öffentlich-rechtlichen System eine fundierte Diskussion verhindert haben. Aber ein Wiederaufrollen dieser Überlegung lohnt,  weil sich das gesellschaftliche Umfeld radikal verändert hat. Journalismus ist Teil des derzeitigen Eliten-Bashings. Zur Disruption ist die Diffamierung hinzugekommen.

Junge Gründer(innen) deuten die Zeichen der Zeit richtig und berücksichtigen in ihren Konzepten die Beteiligung von Leserinnen und Leser. Das fördert das Verständnis für die gesellschaftliche Bedeutung und die Arbeitsweise von Medien. Aber es bleibt purer Idealismus, es sind Strohfeuer, solange es keine wirtschaftliche Sicherung gibt.

Wir brauchen Medienvielfalt dringender denn je

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk bleibt gerade in der aktuellen Situation unverzichtbar. Aber abgesehen von durchaus lobenswerten Nischenprodukten wie Funk und heute plus ist die Innovationskraft des Riesenapparats bescheiden. Fundamental Neues kann offenbar nur außerhalb bestehender Strukturen gedeihen.

Ich als Gebührenzahler jedenfalls habe ein großes Interesse daran, dass am Allgemeinwohl orientierte Medien Zielgruppen erreichen, die sich vom Fernsehen und vom Radio längst schon abgewandt oder qua später Geburt diese niemals zu schätzen gelernt haben. Für die Verteidigung demokratischer Grundwerte kann es gar nicht genug Medien geben.

Dafür gäbe ich von meinen Gebührenbeitrag auch gern mehr als fünf Prozent.

Warum der March for Science die Wissenschaft positiv erschüttert hat

Der March for Science am 22. April 2017 hat der Wissenschaft in Deutschland viel positive Aufmerksamkeit beschert.  Gleichzeitig wächst der Druck: Die Kommunikation nach außen und die Haltung nach innen erscheint Kritikern reformbedürftiger denn je. Andererseits erscheint das Wissenschaftssystem dieses Mal auch bereit dazu. Das verdient breite Unterstützung. Und eine Tagung am 25. und 26. Oktober 2017 von VolkswagenStiftung, ZEIT, Leopoldina und Robert Bosch Stiftung

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Ich glaube, so viele wohlmeinende Schlagzeilen hat die deutsche Wissenschafts-Community seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt wie am 22. April 2017 – dem Tag des „March for Science“. An gut zwei Dutzend Standorten sollen 37.000 Menschen auf den Beinen gewesen sein. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist das wenig. Doch angesichts bürgerlicher Behäbigkeit, die sich ohnehin kaum für oder gegen irgendetwas mobilisieren lässt, war das ganz beachtlich.

Gut vier Monate danach sei nun aber die Frage erlaubt: Was hat der March for Science  gebracht?

Guckt man auf die Habenseite, dann kann man wohl konstatieren: Das Personal an Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, zumal in leitenden Funktionen, hat verstanden, dass ein neuer Umgang mit gesellschaftlichen Kräften nun wohl doch unvermeidlich geworden ist, wenn man nicht noch weiter aus der Mitte der Gesellschaft driften will. Dass „die“ Gesellschaft „die“ Wissenschaft in der Herausforderung sieht, ihre Relevanz überzeugend deutlich zu machen und Verantwortung bei der Lösung von Zukunftsfragen zu übernehmen.

Schlagworte wie „Transparenz“ und „Partizipation“, mit denen man sich in Wissenschaftskreisen bislang wenig euphorisch auseinandergesetzt hat (es gibt natürlich auch rühmliche Ausnahmen in der Professorenschaft!), bekommen plötzlich neues Gewicht. Das Volk, aber auch Politiker und Interessenverbände, klopfen zunehmend lauter an das Tor im Elfenbeinturm. Und drinnen fragt man sich: Was tun?  „Wir haben ein dramatisches Vermittlungsproblem“, konstatierte Peter Strohschneider, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft – und zwar bereits vor dem March for Science, aber bereits unter dem Eindruck weltweiter Wissenschafts- und Experten-Skepsis sowie Fake News.

Was hat der „March for Science“ noch gebracht – außer Selbstzweifeln in der Scientific Community?

Mir scheint, der „March for Science“ hat einen Geist freigesetzt, der sich nicht mehr in die Flasche zurückdrängen lässt. Es scheint, als formierte sich im Innern des Wissenschaftssystems Widerstand gegen die „So-war-es-schon-immer-bei-uns-und-so-bleibt-das-auch“-Mentalität. Deutlich wurde das bei den Kundgebungen am 22. April, wo insbesondere aus dem wissenschaftlichen Mittelbau kecke Töne zu hören waren, die sich mutig gegen die Beharrungskräfte im Apparat aussprachen. Für mich, als Teilnehmer in Berlin, klang das schon richtig politisch.

Weitere Indizien für latente Opposition lieferte mir neulich eine Diskussion, die Manuel Hartung, Ressortleiter Chancen bei der ZEIT, und ich mit 80 Nachwuchswissenschaftler/innen aus der Förderung der VolkswagenStiftung hatten. Unser Thema „Die Krise der Klugen“. So hatte Hartung im Frühjahr 2017 einen ZEIT-Artikel überschrieben, in dem er die Frage formulierte: „Wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Wissenschaft“, angesichts verdrehter wissenschaftlicher Tatsachen (Trump), unverhohlener Wissenschaftsfeindlichkeit (Erdogan, Orban) und grassierender Wissenschaftsskepsis (weltweit)?  Hartungs Eindruck: „Die deutschen Professoren fühlen sich von der rasenden Wirklichkeit um sie herum vor allem in ihrer Arbeit gestört.“

Wachsendes Unbehagen vor allem bei Nachwuchswissenschaftlern

Wer nun annimmt, dass der ZEIT-Redakteur wegen seiner Kritik von den anwesenden Wissenschaftler/innen niedergebuht wurde, sah sich widerlegt. Im Gegenteil: Das Gros stellte seine Polemik überhaupt nicht in Frage, sondern brachte eigenes persönliches Unbehagen zum Ausdruck, dass man im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Erwartung einerseits und dem modernisierungsresistenten Wissenschaftsbetrieb andererseits verspüre.

So scheint sich das Wissenschaftssystem ganz, ganz langsam in zwei Lager aufzuspalten die Wandlungswilligen und die Status Quo-Verteidiger. Es gärt. Und ich glaube, dieses Verdienst darf man dem „March for Science“ getrost anrechnen.

Und nun? Mit Blick auf die Kommunikation mit einem breiten Publikum erschallt vielerorts der reflexhafte Ruf nach „neuen Kommunikationskonzepten“. Das klingt dynamisch, verpflichtet zu nichts und vertagt konkrete Schritte auf eine nicht näher befristete Zukunft. Dabei haben die Kommunikationsprofis in den Universitäten, Hochschulen und Forschungsbereichen über die Jahre ein ständig modernisiertes und diversifiziertes Instrumentarium an Kommunikationsmitteln geschaffen, inklusive  Leitlinien für die bestmögliche Handhabung  – auch und gerade mit Blick auf ein differenziertes Laien-Publikum.

Verantwortung für Wissenschaftsvermittlung lässt sich nicht immer delegieren

Wäre es nicht ein guter erster Schritt, wenn sich die Entscheider im Wissenschaftsbetrieb, die jetzt „neue Konzepte“ fordern, erstmal die bereits bewährten von ihren PR- und Kommunikationsabteilungen erklären ließen? Denn ich unterstelle, dass das Wissen um die Wirkungsweisen von Kommunikationsmitteln im wissenschaftlichen Personal nach wie  vor nicht sehr verbreitet ist. Dabei sollte auch das eine Erkenntnis nach dem „March for Science“ sein: Dass man Wissenschaftsvermittlung nicht immer nur an Kommunikationsabteilungen wegdelegieren kann, sofern man als Wissenschaftler bei einem breiten Publikum glaubwürdig erscheinen will. Das eben setzt den vielbeschworenen Dialog auf Augenhöhe voraus.

Verstärktes Engagement bei der Wissenschaftsvermittlung zieht natürlich die  altbekannten Einwände der Wissenschaftler nach sich: Was bringt mir das für meine Karriere? Soll ich neben meiner Lehr-Labor-Arbeit auch noch Volkshochschule machen? Wofür haben wir Kommunikationsfachleute, wenn ich alles selbst machen muss usw.?

Eine allzu vertraute Litanei. Und doch: Seit dem „March for Science“ klingt sie anders. Nicht mehr nach einem kategorischen „Nein“, sondern immer öfter nach einem vorsichtig tastenden  „Wenn…dann…“

Aufbruchsstimmung? Ja, ich glaube, seit dem PUSH-Memorandum 1999 war die Bereitschaft in Wissenschaftskreisen niemals größer, tradierte Standpunkte kritisch zu reflektieren und offen zu sein für neue Impulse. Der Dialog auf Augenhöhe, der zwischen Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit immer eher verdruckst und mit viel Anschieben funktioniert hat, könnte langfristig selbstverständlicher werden.

Wie die Öffnung der Wissenschaft besser gelingt und ihr Nutzen für die Lösung gesellschaftlicher Zukunftsfragen sichtbarer werden könnte – dafür gibt es nicht die eine Lösung. Und es sollte auch nicht allein in der Verantwortung der Wissenschaft bleiben, Lösungen zu finden. Politik, Journalismus, gesellschaftliche Interessengruppen – sie alle sind aufgerufen, am Gelingen dieses Projektes mitzuwirken.

Vielleicht braucht es dafür gar nicht viele neue Konzepte, sondern vor allem mehr Schulterschluss?

Einen Anstoß dazu will eine Tagung bieten, die die VolkswagenStiftung in Kooperation mit der Leopoldina, der ZEIT und der Robert Bosch Stiftung am 25. und 26. Okt. 2017 in Hannover anbietet: „Wissenschaft braucht Gesellschaft – Wie geht es weiter nach dem March for Science?.

Welche Erwartungen die Organisatoren, zu denen ich selbst zähle, mit dieser Veranstaltung verbinden, will ich in den nächsten Wochen hin und wieder an dieser Stelle berichten. Und eure Meinung und Wünsche dazu kennenlernen. Schreibt sie in die Kommentarspalte. Ich freue mich darauf, sie zu lesen und in meinen Beiträgen darauf einzugehen.

Hier geht es zum Programm und zur kostenlosen Anmeldung: www.volkswagenstiftung.de/wowk17

Weiterer Veranstaltungshinweis:

„Speak up for Science – eine offene Konferenz für kommunizierende Wissenschaftler“ veranstaltet Wissenschaft im Dialog am 15. und 16. Sept. 2017 in Berlin. Teilnahme kostenlos, Anmeldung erforderlich.

Blogbeiträge zum „March for Science“:

Im Blog „Wissenschaft kommuniziert“ findet sich eine Fülle von Artikeln und Statements über verschiedene Aspekte des „March for Science“

 

Audio: Tierversuche als Thema für Wissenschaftskommunikation

Vor ein paar Wochen durfte ich eine Diskussion beim 9. Forum Wissenschaftskommunikation von Wissenschaft im Dialog in Bielefeld moderieren. Der Sessiontitel: „Gemeinsam sind wir mutig – proaktive Kommunikation schwieriger Themen“; der Fokus: „Tierversuche“.

Wer interessiert ist, findet die Session hier als Audio-Mitschnitt. Einen zusamenfassenden Bericht kann man in der eben fertig gewordenen Ergebnisbroschüre des Forums Wissenschaftskommunikation lesen (hier geht es zum PDF).

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Diskussion über Tierversuche als Thema der Wissenschaftskommunikation; v.l.: Jens Rehländer, Christoph Klimmt, Susanne Diederich, Florian Dehmelt. (Abb. aus der Tagungsbroschüre)

Meine drei Gesprächsgäste waren der Journalistik-Professor Dr. Christoph Klimmt aus Hannover; die Kommunikationsleiterin am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, Dr. Susanne Diederich; der Neurowissenschaftler und Pro-Test-Mitgründer Dr. Florian Dehmelt aus Tübingen.

 

Links:

Mit der Website „Tierversuche verstehen“ adressiert die Wissenschaft ein breites Publikum: https://www.tierversuche-verstehen.de

„Pro-Test Deutschland e.V.“ ist ein informelles Bündnis von Wissenschaftlern vor allem in Tübingen, die in persönlichen Gesprächen für ein reflektiertes Verständnis in der Öffentlichkeit werben: http://www.pro-test-deutschland.de

 

 

 

Raus aus den Echokammern der Wissenschaftskommunikation!

„Wo bleibt der Aufschrei gegen billigen Populismus?“, fragt Joachim Müller-Jung, Ressortleiter Wissenschaft der FAZ, und kritisiert heftig „die Trägheit der Wissenschaftler und ihrer Institutionen“. „Der Elfenbeinturm steht heute so mächtig da wie zu den Zeiten, als die akademische Autorität unangreifbar schien“, schreibt Müller-Jung. „Die Gelehrten“ blieben in gesellschaftlichen Fragen passiv: „Das Elitäre hat sie selbst in die Isolation getrieben.“

Ist Müller-Jungs Attacke auf den Elfenbeinturm gerechtfertigt? Haben Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation zu lange an der wahlberechtigten Bevölkerung vorbeikommuniziert?  Nun, im Lager der Demokraten und Aufklärer herrscht jedenfalls Alarm in diesen Tagen. Und das ist gut so! Denn nachdem sich ein EU-Mitgliedsland nach dem anderen den rechten Demagogen ergibt, nachdem der Brexit passiert ist und mit Donald Trump in Kürze das bislang völlig Unvorstellbare wahr wird – jetzt endlich artikuliert sich hierzulande Widerstand gegen diese unsägliche, unheimliche Entwicklung.

Wer die Errungenschaften der Demokratie verteidigen will – die Freiheit der Wissenschaft zählt dazu -, muss Farbe bekennen. Und zwar jetzt. Heute! Von daher stimme ich Müller-Jung zu. Wenn die Wissenschaft in Deutschland verhindern will, dass ihr die Grundlagen entzogen werden, wie in Großbritannien nach dem Brexit und demnächst in den USA nach Trump – dann muss jetzt gehandelt werden.

Anders als Müller-Jung sehe ich aber nicht allein „die Wissenschaft“ in der Pflicht, sondern auch Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus. Wenn es wahr ist, dass das Vertrauen der Laien in Wissenschaft an vielen Stellen erodiert (Stichwörter: Klimawandel, Gentechnik, Evolution vs. Kreationismus), dann haben wir alle im System Wissenschaftskommunikation unseren Teil dazu beigetragen.

„Die“ Wissenschaft hat – mit individuellen Ausnahmen – bis heute kein überzeugendes Interesse entwickelt, sich aus eigenem Antrieb mit Problemlösungsvorschlägen in aktuelle gesellschaftliche Debatten einzubringen. Die Lobbyisten im Wissenschaftssystem verwechseln Öffentlichkeitsarbeit immer noch zu häufig mit Akzeptanzbeschaffung, d.h. Drittmittelgeber und politische Entscheider sollen dafür gewonnen werden, neue Forschungstrends zu finanzieren (wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist). Aber es zeugt von Missachtung, wenn die gleichzeitige Aufklärung der gerade in Deutschland ausgeprägt risikoaversen Bevölkerung ausbleibt.

„Die“ Wissenschafts-PR (z.B. Pressestellen) hat gerade in den letzten Jahren qualitativ sehr an Substanz gewonnen. Am Ende aber muss sie sich immer den Vorgaben der Präsidien und Institutsleitungen beugen und deren Ziele verwirklichen. Und oft auch wider besseren Wissens Tage der Offenen Tür und Lange Nächte der Wissenschaft organisieren, obwohl solche Events überhaupt kein Stück dazu beitragen, dem Vertrauen in Wissenschaft bei den (wahlberechtigten) Bürgern aufzuhelfen.

„Der“ Wissenschaftsjournalismus schließlich ist in Sachen Vertrauen, Akzeptanz und Relevanz vergleichbar unter Druck wie die Wissenschaft selbst. Die Inseln im Meer der Medien, wo qualitätsvoller Wissenschaftsjournalismus noch möglich ist. werden kleiner und seltener. Die, die jetzt noch übrig sind, müssen sich die Frage stellen, womit sie ihr Publikum noch erreichen. Wer ohne gesellschaftliche Verantwortung agiert, schielt mit der Boulevardisierung und Sensationalisierung von Wissenschaft auf Einschaltquote und Klicks. Wer aber den aufklärerischen Auftrag von Journalismus ernst nehmen will, agiert ohne Unterstützung der Redaktionsleitungen und gegen die Shitstorms der großen Problemvereinfacher im Netz.

Ich bin überzeugt, dass es einer Koalition aller Akteure im System Wissenschaftskommunikation bedarf, um dem „populistischen Kokolores“ (Müller-Jung) etwas entgegenzusetzen. Gegenseitige Schuldzuweisungen und das Aufrechnen von Fehlern in der Vergangenheit helfen gar nichts. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, aus den Echokammern der Wissenschaftskommunikation herauszutreten und den Dialog mit jenen zaufzunehmen, die beim nächsten Wahlgang auch über die Freiheit von Wissenschaft entscheiden werden. Und dieser Dialog kann sofort anfangen: in den Gesprächen mit unseren Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden und Verwandten.

Weiterer Beitrag zu diesem Thema:

 

Aus für Spiegel Plus? Keiner kauft Nachrichten im Netz

Jochen Wegner, Chefredakteur von ZEIT ONLINE, hat es natürlich wieder vorhergesehen. Angesprochen auf das seinerzeit gerade eingeführte Bezahlmodell für Einzelartikel bei Spiegel Online („Spiegel Plus“), sagte er im August 2016 im Interview: „Was der Marktführer Spiegel derzeit testet, finde ich bemerkenswert. Ich glaube bis auf weiteres nicht, dass das zu wirklich relevanten Umsätzen führt – und gebe an der Ericusspitze mit Freuden eine Runde Bier aus, falls ich mich irre.“

Es scheint, dass Jochen Wegner sich die Zeche sparen kann. Jedenfalls berichtet die Medienjournalistin Ulrike Simon heute, das Paid Content-Modell habe offenbar die Erwartungen nicht erfüllt, und der Stuhl von SpOn-Chef Florian Harms würde wackeln.

Häme ist hier fehl am Platz. Besserwisserei auch. Aber diese Bemerkung sei erlaubt: Es verwundert schon, dass eine Nachrichten-Website glaubt, verkäufliche Inhalte zu produzieren. Wobei beim Modell „Spiegel Plus“ strafverschärfend hinzukommt, dass die meisten Inhalte aus dem Heft stammen und zumindest für Printleser schon tagelang auf dem Markt waren, bevor Spiegel Online auch seine Community dafür abkassieren will.

Häme ist hier auch deshalb fehl am Platz, weil die Medien selbstverständlich nur durch Experimente herausfinden können, wie sie sich in Zukunft refinanzieren. Dass Experimente scheitern, liegt in der Natur der Sache und verdient keinen Tadel. Dass man aber Irrwege nochmal beschreitet, um genauso zu scheitern wie die anderen vorher – das verwundert dann doch.

Was also hätte man aus den Erfahrungen anderer wissen können? Zumindest dies: Dass Nachrichtenjournalismus im Internet unverkäuflich ist! Es gibt kein Genre, dass an vergleichbarer Überproduktion leidet, kein Feld, in dem der Konkurrenzdruck höher ist, kein Journalismus, der austauschbarer wäre, keine Sparte, die in der Wertschätzung der Nutzer tiefer angesiedelt ist.

Auch nach 15 Jahren hat der Online-Nachrichtenjournalismus ein Deutschland ein Imageproblem. Die Ursachen dafür sind vielfältig und haben häufig weniger mit der Qualifizierung der Journalisten zu tun, sondern mit den Produktionsbedingungen. Ulrike Simon bringt das in einem etwas rüden Ton auf den Punkt: „Eine im Schichtbetrieb Meldungen schrubbende und auf Reichweite trainierte SpOn-Redaktion ist auch schwer auf Anspruch umzupolen.“

Dass Spiegel Online „auf Anspruch“ gepolt werden sollte, ist mir in den letzten Monaten ohnehin verborgen geblieben. Im Gegenteil: Eher registriere ich seit über einem Jahr mit wachsendem Unbehagen ein Ausfransen in Richtung Non-Nachrichten und Nonsens. Mit Inhalten, die häufig flink zusammenkuratiert wirken. Für mich hat die Marke Spiegel als Qualitätsversprechen erheblich an Ansehen verloren, das Profil ist verwässert – zumindest Online. Inzwischen bevorzuge ich faz.net und ZEIT ONLINE.

Ist es ein Alarmzeichen für andere Online-Marken, falls Spiegel Online mit seinen Inhalteverkäufen tatsächlich nicht erfolgreich sein sollte? Ich glaube nicht. Denn eigentlich wird nur bestätigt, was auch Jochen Wegner von Zeit Online weiß: Nachrichtenjournalismus ist kein Geschäftsmodell.

In den USA gibt es übrigens immer weniger – um Ulrike Simons Satz nochmal aufzugreifen – „im Schichtbetrieb Meldungen schrubbende“ Nachrichtenredakteure. Das erledigen inzwischen Nachrichtenroboter.