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Realitätsfern: Die Debatte über die Trennung von Journalismus und PR

Was teurer sei, fragte mich vor einiger Zeit eine promovierte Biochemikerin: „eine Anzeige oder ein journalistischer Artikel?“ Die Frage löste zunächst Schockstarre bei mir aus. Wie konnte es sein, dachte ich, dass sogar bei einer Vertreterin der akademischen Oberschicht offenbar jegliche Medienkompetenz abwesend und das ethische Fundament der Branche, die Trennung zwischen Redaktion und Kommerz, unbekannt war?

Ist PR auch „eine Art Journalismus“?

An diese Anekdote musste ich denken angesichts der gerade wieder aufflammenden Debatte über die Trennung von Journalismus und PR. Ausgelöst wurde dieser Streit durch die aktualisierte Definition des Berufsbildes „Journalistin-Journalist“ seitens des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Hinnerk Feldwisch-Dendrup vermisst darin die klare Abgrenzung zur PR, wie er in der taz  schreibt.  Für DJV-Vorstand Frank Überall dagegen, im NDR-Medienmagazin Zapp, ist „PR auch eine Art Journalismus“.

Eine zu simple Zweiteilung der Medienwelt

Wenig überraschend forderte Überall  mit diesem Statement die dogmatisch wertkonservativen Kritikerinnen und Kritiker im Verband heraus, die sich über alle Zeitläufte hinweg und dem Medienwandel tapfer trotzend an die simple Zweiteilung ihrer Welt klammern: Gut ist in diesem Narrativ der uneigennützig aufklärende Journalismus; böse dagegen das manipulative Verführungswerk der PR-Leute. Einige Vertreterinnen und Vertreter dieses Lagers haben bei Twitter bereits wütend ihren Austritt aus dem DJV verkündet.

Eine zyklisch wiederkehrende Debatte

Ich war mehr als 20 Jahre Mitglied der GEO-Redaktion. Seit 2010 leite ich die Kommunikation der VolkswagenStiftung, der größten privaten Wissenschaftsfördererin in Deutschland. Ich bin also einer dieser Seitenwechsler, über die man jetzt so oft liest. Einer, der das Handwerk des Journalismus in der PR ausübt – ohne zu behaupten,  Journalismus zu betreiben. Ich tue dies übrigens mit großer Begeisterung und keineswegs so verschämt, wie ich es tun müsste, würde ich die selten schmeichelhaften Attribute persönlich nehmen, mit denen Noch-Journalisten die Ex-Journalisten in der PR geringschätzen.

Die gegenseitige Durchdringung ist längst real

Nach also gut dreißig Jahren im Mediengeschäft kenne ich die Debatte über die Unvereinbarkeit von Journalismus und PR gut, sie kehrt in Zyklen wieder und lässt die Emotionen auf beiden Seiten hochkochen. Was die aktuelle Debatte jedoch von allen vorangegangenen unterscheidet: Dieses Mal ist sie völlig sinnlos, weil die gegenseitige Durchdringung von Journalismus und PR längst Wirklichkeit geworden ist.

Das Publikum merkt keinen Unterschied

Für diese These steht als lebendes Indiz auch die eingangs zitierte Biochemikerin: Große Teile des Publikums, auch das als gebildet geltende, sind weder fähig noch willens einen Unterschied zu machen zwischen Journalismus und PR – und dem gattungsverwandten Marketing. Das hat gewiss damit zu tun, dass es keine Medienkunde an den Schulen gibt. Oder dass es nicht nur das junge Publikum ist, das sich beim Sichten von Newsfeeds in den sozialen Netzwerken für die Seriosität von Quellen keinen Deut interessiert.

Die Medienhäuser selbst machen die Grenze durchlässig

Was aber weniger häufig ins Feld geführt wird: Die Medienhäuser selbst haben die Grenze zwischen Redaktion und PR beharrlich perforiert. Sie mussten es tun, um jenseits von Anzeigen und Vertrieb dringend benötigte neue Erlösquellen zu erschließen. Dass der Sündenfall also längst vollzogen ist, wollen die Verfechterinnen und Verfechter der reinen Journalismus-Lehre aber nicht wahr haben.

  • Nach wie vor zeigen Redakteure mit dem Bäh-Finger auf PR-Menschen – während sie selbst mit Corporate Publishing-Abteilungen, die inzwischen von allen großen Verlagen gegründet wurden, unter einem Dach arbeiten.
  • Sie stellen mit stolzgeschwellter Brust ihre Unabhängigkeit als Tugend ins Schaufenster – und entwerfen gleichzeitig auf Geheiß der Verlagsleitungen mit Anzeigenkunden Kampagnen im Native Advertising.
  • Sie nehmen für sich in Anspruch, der Macht furchtlos und kritisch auf die Finger zu schauen – und spielen die Conferenciers und beflissenen Stichwortgeber für Industriegrößen und Banker, die auf Podien und als zahlende Gäste dazu beitragen sollen, die für die Wirtschaft kreierten Tagungen und Konferenzen ihrer Medienhäuser kommerziell erfolgreich zu machen.
  • Glauben die Chefredakteurinnen und -redakteure tatsächlich, Leserinnen und Leser würden keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem jubilierenden Artikel über eine Geschäftsneueröffnung und der viertelseitigen Anzeige des Geschäftsgründers auf derselben Zeitungsseite? Oder dass alle geilen Fotos im Autoteil von den Herstellern zur Verfügung gestellt wurden und die Fotos vom Tropen-Resort im Reiseteil vom Veranstalter (der auch die Reise des Berichterstatters bezahlt hat)? Wer mag an Zufall glauben, wenn es auf der Homepage des sogenannten Qualitätsmediums einen umfänglichen Schwerpunkt „Volkskrankheit: Allergien“ gibt, in dem wochenlang die Werbebanner einer bestimmten  Krankenkasse auftauchen?

 

Nein, liebe Journalistinnen und Journalisten, liebe Ex-Kolleginnen und -kollegen, die schlichte Zweiteilung der Medienwelt ist längst eine pure Fiktion. Das heißt nicht, dass ich für eine Aufweichung der definierten Rollen und Funktionen bin, die Journalismus und PR aus systemischen Gründen unterscheiden. Ich teile nicht die Meinung von Frank Überall, PR sei auch eine Art Journalismus. Aber ich fände es konstruktiv, wenn beide Lager unverkrampfter miteinander kommunizieren würden. Die nötige Reflexion, ausgelöst von der Debatte um die Berufsbild-Definition des DJV, könnte beitragen, unser Miteinander, meinetwegen auch friedvolles Nebeneinander in einer Medienzukunft zu gestalten, die ohne jene stattfinden wird, die die dogmatische Trennung zwischen Journalismus und PR für die Stabilisierung ihres Selbstbildes brauchen.

Die Zukunft wartet nicht auf uns. Die kommt. So der so.

 

Mögen Wissenschaftler keine Wissenschafts-PR?

Die Wissenschafts-PR der Universitäten
und Forschungseinrichtungen leidet unter einem Mangel an Wertschätzung – ausgerechnet auf Seiten der Wissenschaft. Das musste ich schon einmal
an dieser Stelle konstatieren :
Im Juni 2014 waren die Empfehlungen zur Wissenschaftskommunikation von Acatech,
Leopoldin
a und BBAW („WÖM“) der Anlass.  Acht
Professoren und zwei Journalisten – darunter die einzige Frau – hatte man in
die Arbeitsgruppe berufen. Aber nicht die von Amtswegen prädestinierten
Expertinnen und Experten für die Vermittlung von Wissenschaft an Medien und
Öffentlichkeit, also Vertreter/innen der Presse- und Kommunikationsabteilungen.
„Die hatten wir nicht auf dem Schirm“, erklärte der Sprecher der AG, Professor
Peter Weingar
t, bei der Vorstellung des Berichts und wollte das gewiss als
Entschuldigung verstanden wissen.

Nun aber hat die Leopoldina nachgelegt und nach meinem
Eindruck nochmal unterstrichen, dass man auf die Beiträge aus den Reihen der
Wissenschaftssprecher gut verzichten kann. 
Wieder einmal geht es um die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte an
Medien, Öffentlichkeit und Politik. Und wieder einmal klären Forscher und
Journalisten unter Ausklammerung der Wissenschafts-PR die kommunikativen
Voraussetzungen für diesen Wissenstransfer untereinander.

Worum geht es in der Studie „Die synthetische Biologie in der öffentlichen Meinungsbildung“?

Nachdem die Mehrheit im Wissenschaftsbetrieb (58 Prozent) das
Scheitern der Grünen Gentechnik in Deutschland offenbar vor allem auf mangelhafte
Kommunikation zurückführt, möchte die Leopoldina bei der PR für das Thema
Synthetische Biologie vieles besser machen. Ihr Ziel sei es,

vertrauenswürdige Informationen und
transparente Bewertungen über absehbare Chancen, Herausforderungen und Risiken
der Synthetischen Biologie in die öffentliche Meinungsbildung und demokratische
Entscheidungsfindung einzubringen.“

Um herauszufinden, mit
welcher Kommunikationsstrategie dieses Ziel erreicht werden kann, hat sich die
Leopoldina mit dem Institut für Demoskopie Allensbach zusammengetan. Gemeinsam
wollte man herausfinden, welche Einstellung die Deutschen zu innovativen
Technologien haben, wie gut Forscher und Journalisten bei der Vermittlung von
Wissenschaft kooperieren, wie eine positive Akzeptanz für die Synthetische
Biologie geschaffen werden kann – vor dem Hintergrund, dass, laut Studie, immerhin
40 Prozent der Bevölkerung dafür plädieren, auf Forschungsprojekte zu
verzichten, wenn diese auch nur mit kleinen Risiken verbunden sind und weitere 15
Prozent in dieser Hinsicht unentschlossen, also Wackelkandidaten sind.

Soziale Medien spielen in der Wissenschaftskommunikation “kaum eine Rolle”

Die Demoskopen
befragten 106 Forscher, 103 Journalisten sowie 2350 Bürger. Ergänzt wird
die Studie durch 23 Tiefeninterviews mit Wissenschaftlern (die weibliche Form
ist jeweils mitzudenken).

Die etwa 120 Seiten umfassende, Ende Januar 2015 vorgelegte
Auswertung lohnt auf jeden Fall die Lektüre. Empirie im Kontext von wissenschaftskommunikativer
Wirkungsforschung ist hierzulande leider immer noch viel zu rar. Und selbst
wenn man sich nicht explizit für Synthetische Biologie interessiert, enthält
die Studie eine Fülle empirisch belegter Aussagen, die für
Kommunikationsverantwortliche  generell lehrreich
sein dürften.

Die sozialen Medien beispielsweise, deren Bedeutung nach
Meinung vieler Kritiker von den WÖM-Gutachtern so sträflich missachtet wurden, werden
auch von Allensbach und Leopoldina in ihrer Wichtigkeit arg zurückgestutzt. Sie
spielten, so heißt es, in der Wissenschaftskommunikation „offenbar kaum eine
Rolle“: „Diese Wahrnehmung teilen sowohl Wissenschaftler und Journalisten als
auch die Nutzer.“  

Das Fernsehen ist für 73 Prozent der Wissenschaftler das Leitmedium

In der Umfrage stufen nur 21 Prozent der Bürgerinnen und
Bürger das Internet (wohl inkl. sozialer Medien) als glaubwürdige Quelle ein, satte
53 Prozent hingegen das Fernsehen, 45 Prozent votieren für die Glaubwürdigkeit
der Zeitungen. Mehr als andere Mediengattungen, heißt es in der Studie, habe
das Internet „mit Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen“.

Dessen ungeachtet sind aber 73 Prozent der Wissenschaftler
überzeugt, dass das Internet die Chancen für den Dialog mit der Öffentlichkeit
verbessere. Leitmedium bleibt aber auch für sie das Fernsehen: 73 Prozent
glauben, es sei besonders geeignet, um wissenschaftliche Erkenntnis zu
vermitteln. Mit deutlichem Abstand – 47 Prozent – folgen aus Wissenschaftssicht
die Tageszeitungen.

Auch die Relevanz der Hochglanz-Publikationen, die von
Universitäten und Forschungseinrichtungen mit großem Aufwand finanziert werden,
bewertet die Studie ambivalent. Etwa 40 Prozent der Befragten würden ihnen zwar
„hohes Vertrauen“ beimessen. Verglichen mit der Reichweite traditioneller Medien
erreichten sie aber „nur eine sehr kleine Nutzergruppe“. Also viel Aufwand,
aber (zu) wenig Ertrag?

Starkes Votum für ein Mehr an Wissenschaftskommunikation

Von solcher Detailkritik abgesehen, steht die Notwendigkeit
von Wissenschaftskommunikation für die Leopoldina außer Frage. Dazu gibt es
schon in der Einleitung ein imperatives Statement, das keinen
Interpretationsspielraum lässt: „Die Vermittlung ihrer Forschungsinhalte gehört
zu den Aufgaben von Wissenschaftlern und wird insbesondere von Wissenschaftlern
an öffentlich finanzierten Einrichtungen erwartet.“

Pflichtbewusst erachten deshalb auch 86 Prozent der befragten
Wissenschaftler Kommunikation für „wichtig“ oder „sehr wichtig“.  60 Prozent der Forscher und 80 Prozent der
Journalisten reicht das bisher Erreichte sogar nicht aus. Sie „mahnen ein
stärkeres Engagement bei der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte an.“

An dieser Stelle jedoch fragt man sich: An wessen Adresse
richtet sich die Mahnung? An die Institutsleitungen? An die Wissenschafts-PR?
Oder appellieren die Wissenschaftler an sich selbst? Denn auch wenn letztere
weit überwiegend von der Notwendigkeit der Kommunikation überzeugt sind, so geben
60 Prozent an, dass Öffentlichkeitsarbeit in ihrem Forscheralltag keine große
Rolle spielt – offenbar weil die Verhältnisse sie daran hindern.

Klage über unprofessionelle Pressestellen

Als Hürden
werden genannt: der Zeitmangel, die Konzentration auf Forschung und Lehre, mangelnde
Vorbereitung auf die Kommunikation mit Laien und, jetzt kommt´s, „unzureichende
personelle Ausstattung und Professionalisierung der Pressestellen“.
Sind nach Meinung der Wissenschaftler die Pressestellen also
„unprofessionell“? Und selbst wenn natürlich niemand ein solches Pauschalurteil
unterschreiben würde: Werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Öffentlichkeitsarbeit von der praktizierenden Wissenschaft nicht als
Dialogpartner auf Augenhöhe wahrgenommen?

Der Verdacht erhärtet sich, wenn man in den Zitaten aus den
Tiefeninterviews mit Wissenschaftlern liest, es wäre „nicht schlecht, wenn …
verstärkt Kommunikationszentren“ aufgebaut würden (ja, gibt es die nicht
längst: in Form von Pressestellen?). Oder dass man bei Kooperationen mit großen
Institutionen in den USA sehen könne, dass die „wirklich professionelle
Presseabteilungen haben“ (im Gegensatz zu den unprofessionellen in
Deutschland?).

Wo bleibt das breite Bündnis für mehr Qualität in der Wissenschaftskommunikation?

Noch hat die Studie „Die synthetische Biologie in der
Öffentlichkeit“ nach meiner Beobachtung in der Community der Wissenschafts-PR
keine große Aufmerksamkeit gefunden. Sie ist ihr aber zu wünschen, weil sie,
wie gesagt, mit Empirie manche Frage beantwortet, die ich mir längst schon
gestellt habe.

Dass Experten aus den Pressestellen und
Kommunikationsabteilungen sich darin nicht als eigene Fokusgruppe wiederfinden,
ist bedauerlich. Denn wer die Diskussion der letzten Monate verfolgt, weiß zum
Beispiel, dass die im Siggener Kreis zusammengeschlossenen Akteure aus der
Kommunikationsbranche genau jene Themen bereits bearbeiten, die zuerst „WÖM“
und nun auch die befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dieser
Studie anprangern, nämlich die Suche nach Qualitätsstandards, die verhindern
sollen, was in der Studie unter der Überschrift „Fehler der Wissenschaftskommunikation“
gelistet wird: etwa die Neigung, Chancen übertrieben zu betonen, Risiken aber zu
verschweigen; ungesicherte Erkenntnis und falsche Informationen zu verbreiten;
Informationen unreflektiert weiterzugeben und keine eigene Haltung
darzustellen. Schließlich:  „Die Menschen
nicht ernst nehmen, Arroganz, Überheblichkeit bei der Präsentation“.

Fast alle Wissenschaftler halten sich für Kommunikatoren – die Journalisten widersprechen. Entschieden.

Dass sie die Laien nicht ernst nehmen, würde wohl kaum ein
Wissenschaftler zugeben. Denn in der Befragung gaben 86 Prozent an, es falle
ihnen leicht, ihre eigenen Forschungsergebnisse einem breiten Publikum zu
erklären. Das überrascht mich sehr. Ähnlich überwältigend fällt das Votum bei
den Journalisten aus – allerdings mit einer genau entgegengesetzten Aussage: 82
Prozent von ihnen meinen nämlich, es falle Wissenschaftlern schwer, mit Laien
zu kommunizieren.   

Liebe Wissenschaftler, Ihre Pressestellen werden sich freuen, Sie in Sachen Wissenschaftskommunikation zu schulen. Und sie stehen bereit für den konstruktiven Dialog. Aber wenn, dann bitte nur auf Augenhöhe!

Themenverwandte Beiträge von mir:

Über den fehlenden Dialog zwischen Wissenschaft und Wissenschafts-PR

Die nächsten Schritte auf dem Weg zu besserer Wissenschaftskommunikation

Wie schädlich ist Wissenschaftskommunikation?

Welche Wissenschaftskommunikation der Siggener Kreis will

Die professionellen Vermittler von Wissenschaft, in erster Linie also die Pressestellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, haben es nicht leicht. Ihre Pressemitteilungen werden nicht gedruckt, weil es in den Redaktionen kaum noch Wissenschaftsjournalisten gibt, vor allem in den Regionalmedien. Ihr Terminkalender quillt über, weil die eigene Institutsleitung dauernd nach der Konkurrenz schielt und gern auch einen Science Slam, eine Lange Nacht der Wissenschaft, eine Kinder-Uni oder Multimedia haben will.

Die Kommunikatoren stellen sich notgedrungen den Herausforderungen sozialer Netzwerke, damit der Kontakt zu Studierenden und jungen Nachwuchswissenschaftlern nicht völlig abreißt. Aber am Jahresende ist die Pressestelle dann trotzdem Mitschuld daran, wenn zu wenig Drittmittel eingeworben wurden. Denn auch das soll Wissenschaftskommunikation heute leisten: Die Innovationskraft des eigenen Forschungshauses so überhöhen, dass die Gelder aus der Politik, der Wirtschaft und Wissenschaftsförderung munter sprudeln. Getreu dem Motto: Nur wer laut schreit, wird auch gehört.

Seit dem PUSH-Memorandum vor 15 Jahren ist zweifellos viel passiert in der Vermittlung von Wissenschaft. Aber ist die Wissenschaftskommunikation seither besser geworden?
Für kritische Selbstreflexion ließ der pralle Eventkalender der Branche bislang wenig Zeit. Hinter den Kulissen aber brodelt es schon lange. Wissenschaftler zeigen sich zusehends verunsichert in der Frage, ob, wieviel und welche Form von Wissenschaftskommunikation die Institutsleitungen und Förderer von ihnen erwarten? Und die verantwortungsbewussten unter den Kommunikatoren beschleicht zunehmend das schale Gefühl, ob sie recht daran tun, jede zweite Wissenschaftsmeldung mit Superlativen zu dekorieren oder gar als Durchbruch zu verbrämen?

Inzwischen greift mehr Grübeln um sich. Schon vor zwei Jahren haben acatech, Leopoldina und Berlin-Brandenburgische Akademie eine Arbeitsgruppe um den prominenten Soziologen Peter Weingart eingesetzt. Deren Aufgabe: Das „Verhältnis zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ auszuloten. Am 17. Juni 2014 wird der Abschlussbericht in Berlin präsentiert.

Und im Sommer 2013 traf sich der Siggener Kreis: gut zwei Dutzend kompetente Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaftsinstitutionen, Pressestellen, aus Wirtschaft, Politik und Journalismus. Kürzlich gab es ein Folgetreffen auf dem ostholsteinischen Gut. Heute publizierte der Kreis unter dem Label „Siggener Aufruf“ zwei Papiere: „Wissenschaftskommunikation gestalten“ und „Leitlinien für gute Wissenschaftskommunikation“.

Soviel vorneweg: ein Barrikadensturm wird hier nicht angezettelt. Statt entschlossener Forderungen (an wen auch?) wird ein erhabenes Wunschbild von Wissenschaftskommunikation entworfen. Genau dies ist aus meiner Sicht der Makel dieser verdienstvollen Initiative: Der sogenannte Siggener Aufruf dürfte es vor allem deshalb schwer haben, sich Gehör zu verschaffen, weil er niemanden zum Widerspruch herausfordert!

Denn wer wollte dagegen halten, wenn die Autorinnen und Autoren ihr Idealbild von aufrechter Wissenschaftskommunikation folgendermaßen konstruieren:

„Gute Wissenschaftskommunikation arbeitet faktentreu. Sie übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfolge und verharmlost oder verschweigt ihr bekannte Risiken neuer Technologien nicht. Sie macht Grenzen ihrer Aussagen sichtbar. Außerdem sorgt sie für Transparenz der Interessen und finanzieller Abhängigkeiten. Sie benennt Quellen und Ansprechpartner. Sie beantwortet die Frage, welche Bedeutung die Informationen für Wissenschaft und Gesellschaft haben und ordnet sie in den aktuellen Forschungsstand ein. Sie weicht nicht für Zwecke des Institutionenmarketings oder der Imagebildung von Faktentreue und Transparenz ab.“

Oder:
„Gute Wissenschaftskommunikation ist selbstreflexiv und selbstkritisch. Sie arbeitet wertegeleitet und strategisch und definiert Maßstäbe für die Qualität ihrer Arbeit und ihrer Ergebnisse. Sie organisiert ein Monitoring über die Erfüllung der Kriterien und ermöglicht deren Veränderung über Feedbackprozesse.“

Bevor sich nun Kenner der Wirklichkeit fragen, was genau hier beschrieben wird, sei es nochmal betont: Dies ist die Wissenschaftskommunikation, wie sie sich der Siggener Kreis für die Zukunft wünscht. Die Realität ist ja eher dadurch gekennzeichnet, dass die oben beschriebenen Qualitätskriterien eben nicht, zumindest aber viel zu selten im realen PR-Betrieb anzutreffen sind.

Woran liegt das? Zum Teil auch an den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst, die häufig nicht zu den glühendsten Anhängern enger Zusammenarbeit mit ihren Pressestellen zählen. Meist dient Zeitmangel als Absagegrund. Häufig spielt aber auch die Furcht hinein, durch Medienpräsenz bei den Fachkollegen anzuecken. Wahrscheinlich stellen sich viele aber auch eine simple Frage, auf die ihnen das deutsche Wissenschaftssystem – auch 15 Jahre nach PUSH – immer noch eine überzeugende Antwort schuldig geblieben ist: Was bringt es meiner Karriere, wenn ich Wissenschaftskommunikation betreibe?

Dass ohne eine motivierende Regelung dieser Frage die Qualität von Wissenschaftskommunikation immer wieder an Grenzen stößt, wissen natürlich auch die Mitdenker im Siggener Kreis – und legen den Finger in die Wunde, wenn sie formulieren:

„Wissenschaftler, die sich in den Dialog mit der Öffentlichkeit einbringen, verdienen besondere Unterstützung und Wertschätzung. Diese sollen sich auch in der nachvollziehbaren Berücksichtigung ihrer Kommunikationsleistungen in den Be- und Entlohnungssystemen der Wissenschaft ausdrücken.“

Mit anderen Worten: Forscherinnen und Forscher, die sich (im Verein mit ihren zuständigen Pressestellen) in der Wissenschaftskommunikation engagieren, müssen dafür ausgezeichnet werden – nicht (nur) mit Pokalen, sondern mit einer Gutschrift auf ihr Impact Factor-Konto. Dadurch würden Kommunikationsbemühungen neben Forschung und Lehre endlich auch für Bewerbungen relevant.

Doch vor einem solchen Schritt scheut das System bislang zurück. Neben anderen Gründen fürchten die Förderinstitutionen den Protest jener Professoren, die in wenig öffentlichkeitswirksamen Disziplinen unterwegs sind. Oder dass medienpopuläre Wissenschaftsvertreter von den Altvorderen gemobbt werden.

Neben vielen Fragen, die der Siggener Kreis aufwirft, dürfte die Wertschätzung für Kommunikationsbemühungen seitens des Wissenschaftssystems eine der entscheidenden sein. Bis hier keine eindeutige Haltung formuliert ist, bleiben die Pressestellen von vielen widerstreitenden Interessen getrieben. Und Forscher werden sich weiter fragen, welche Form von Wissenschaftskommunikation „das System“ sich von ihnen wünscht.

Der Siggener Kreis hat sein Diskussionsangebot zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation vorgelegt. Jetzt ist es an uns, dieses inspirierende Angebot konstruktiv anzunehmen.