Raus aus den Echokammern der Wissenschaftskommunikation!

„Wo bleibt der Aufschrei gegen billigen Populismus?“, fragt Joachim Müller-Jung, Ressortleiter Wissenschaft der FAZ, und kritisiert heftig „die Trägheit der Wissenschaftler und ihrer Institutionen“. „Der Elfenbeinturm steht heute so mächtig da wie zu den Zeiten, als die akademische Autorität unangreifbar schien“, schreibt Müller-Jung. „Die Gelehrten“ blieben in gesellschaftlichen Fragen passiv: „Das Elitäre hat sie selbst in die Isolation getrieben.“

Ist Müller-Jungs Attacke auf den Elfenbeinturm gerechtfertigt? Haben Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation zu lange an der wahlberechtigten Bevölkerung vorbeikommuniziert?  Nun, im Lager der Demokraten und Aufklärer herrscht jedenfalls Alarm in diesen Tagen. Und das ist gut so! Denn nachdem sich ein EU-Mitgliedsland nach dem anderen den rechten Demagogen ergibt, nachdem der Brexit passiert ist und mit Donald Trump in Kürze das bislang völlig Unvorstellbare wahr wird – jetzt endlich artikuliert sich hierzulande Widerstand gegen diese unsägliche, unheimliche Entwicklung.

Wer die Errungenschaften der Demokratie verteidigen will – die Freiheit der Wissenschaft zählt dazu -, muss Farbe bekennen. Und zwar jetzt. Heute! Von daher stimme ich Müller-Jung zu. Wenn die Wissenschaft in Deutschland verhindern will, dass ihr die Grundlagen entzogen werden, wie in Großbritannien nach dem Brexit und demnächst in den USA nach Trump – dann muss jetzt gehandelt werden.

Anders als Müller-Jung sehe ich aber nicht allein „die Wissenschaft“ in der Pflicht, sondern auch Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus. Wenn es wahr ist, dass das Vertrauen der Laien in Wissenschaft an vielen Stellen erodiert (Stichwörter: Klimawandel, Gentechnik, Evolution vs. Kreationismus), dann haben wir alle im System Wissenschaftskommunikation unseren Teil dazu beigetragen.

„Die“ Wissenschaft hat – mit individuellen Ausnahmen – bis heute kein überzeugendes Interesse entwickelt, sich aus eigenem Antrieb mit Problemlösungsvorschlägen in aktuelle gesellschaftliche Debatten einzubringen. Die Lobbyisten im Wissenschaftssystem verwechseln Öffentlichkeitsarbeit immer noch zu häufig mit Akzeptanzbeschaffung, d.h. Drittmittelgeber und politische Entscheider sollen dafür gewonnen werden, neue Forschungstrends zu finanzieren (wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist). Aber es zeugt von Missachtung, wenn die gleichzeitige Aufklärung der gerade in Deutschland ausgeprägt risikoaversen Bevölkerung ausbleibt.

„Die“ Wissenschafts-PR (z.B. Pressestellen) hat gerade in den letzten Jahren qualitativ sehr an Substanz gewonnen. Am Ende aber muss sie sich immer den Vorgaben der Präsidien und Institutsleitungen beugen und deren Ziele verwirklichen. Und oft auch wider besseren Wissens Tage der Offenen Tür und Lange Nächte der Wissenschaft organisieren, obwohl solche Events überhaupt kein Stück dazu beitragen, dem Vertrauen in Wissenschaft bei den (wahlberechtigten) Bürgern aufzuhelfen.

„Der“ Wissenschaftsjournalismus schließlich ist in Sachen Vertrauen, Akzeptanz und Relevanz vergleichbar unter Druck wie die Wissenschaft selbst. Die Inseln im Meer der Medien, wo qualitätsvoller Wissenschaftsjournalismus noch möglich ist. werden kleiner und seltener. Die, die jetzt noch übrig sind, müssen sich die Frage stellen, womit sie ihr Publikum noch erreichen. Wer ohne gesellschaftliche Verantwortung agiert, schielt mit der Boulevardisierung und Sensationalisierung von Wissenschaft auf Einschaltquote und Klicks. Wer aber den aufklärerischen Auftrag von Journalismus ernst nehmen will, agiert ohne Unterstützung der Redaktionsleitungen und gegen die Shitstorms der großen Problemvereinfacher im Netz.

Ich bin überzeugt, dass es einer Koalition aller Akteure im System Wissenschaftskommunikation bedarf, um dem „populistischen Kokolores“ (Müller-Jung) etwas entgegenzusetzen. Gegenseitige Schuldzuweisungen und das Aufrechnen von Fehlern in der Vergangenheit helfen gar nichts. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, aus den Echokammern der Wissenschaftskommunikation herauszutreten und den Dialog mit jenen zaufzunehmen, die beim nächsten Wahlgang auch über die Freiheit von Wissenschaft entscheiden werden. Und dieser Dialog kann sofort anfangen: in den Gesprächen mit unseren Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden und Verwandten.

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