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Realitätsfern: Die Debatte über die Trennung von Journalismus und PR

Was teurer sei, fragte mich vor einiger Zeit eine promovierte Biochemikerin: „eine Anzeige oder ein journalistischer Artikel?“ Die Frage löste zunächst Schockstarre bei mir aus. Wie konnte es sein, dachte ich, dass sogar bei einer Vertreterin der akademischen Oberschicht offenbar jegliche Medienkompetenz abwesend und das ethische Fundament der Branche, die Trennung zwischen Redaktion und Kommerz, unbekannt war?

Ist PR auch „eine Art Journalismus“?

An diese Anekdote musste ich denken angesichts der gerade wieder aufflammenden Debatte über die Trennung von Journalismus und PR. Ausgelöst wurde dieser Streit durch die aktualisierte Definition des Berufsbildes „Journalistin-Journalist“ seitens des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Hinnerk Feldwisch-Dendrup vermisst darin die klare Abgrenzung zur PR, wie er in der taz  schreibt.  Für DJV-Vorstand Frank Überall dagegen, im NDR-Medienmagazin Zapp, ist „PR auch eine Art Journalismus“.

Eine zu simple Zweiteilung der Medienwelt

Wenig überraschend forderte Überall  mit diesem Statement die dogmatisch wertkonservativen Kritikerinnen und Kritiker im Verband heraus, die sich über alle Zeitläufte hinweg und dem Medienwandel tapfer trotzend an die simple Zweiteilung ihrer Welt klammern: Gut ist in diesem Narrativ der uneigennützig aufklärende Journalismus; böse dagegen das manipulative Verführungswerk der PR-Leute. Einige Vertreterinnen und Vertreter dieses Lagers haben bei Twitter bereits wütend ihren Austritt aus dem DJV verkündet.

Eine zyklisch wiederkehrende Debatte

Ich war mehr als 20 Jahre Mitglied der GEO-Redaktion. Seit 2010 leite ich die Kommunikation der VolkswagenStiftung, der größten privaten Wissenschaftsfördererin in Deutschland. Ich bin also einer dieser Seitenwechsler, über die man jetzt so oft liest. Einer, der das Handwerk des Journalismus in der PR ausübt – ohne zu behaupten,  Journalismus zu betreiben. Ich tue dies übrigens mit großer Begeisterung und keineswegs so verschämt, wie ich es tun müsste, würde ich die selten schmeichelhaften Attribute persönlich nehmen, mit denen Noch-Journalisten die Ex-Journalisten in der PR geringschätzen.

Die gegenseitige Durchdringung ist längst real

Nach also gut dreißig Jahren im Mediengeschäft kenne ich die Debatte über die Unvereinbarkeit von Journalismus und PR gut, sie kehrt in Zyklen wieder und lässt die Emotionen auf beiden Seiten hochkochen. Was die aktuelle Debatte jedoch von allen vorangegangenen unterscheidet: Dieses Mal ist sie völlig sinnlos, weil die gegenseitige Durchdringung von Journalismus und PR längst Wirklichkeit geworden ist.

Das Publikum merkt keinen Unterschied

Für diese These steht als lebendes Indiz auch die eingangs zitierte Biochemikerin: Große Teile des Publikums, auch das als gebildet geltende, sind weder fähig noch willens einen Unterschied zu machen zwischen Journalismus und PR – und dem gattungsverwandten Marketing. Das hat gewiss damit zu tun, dass es keine Medienkunde an den Schulen gibt. Oder dass es nicht nur das junge Publikum ist, das sich beim Sichten von Newsfeeds in den sozialen Netzwerken für die Seriosität von Quellen keinen Deut interessiert.

Die Medienhäuser selbst machen die Grenze durchlässig

Was aber weniger häufig ins Feld geführt wird: Die Medienhäuser selbst haben die Grenze zwischen Redaktion und PR beharrlich perforiert. Sie mussten es tun, um jenseits von Anzeigen und Vertrieb dringend benötigte neue Erlösquellen zu erschließen. Dass der Sündenfall also längst vollzogen ist, wollen die Verfechterinnen und Verfechter der reinen Journalismus-Lehre aber nicht wahr haben.

  • Nach wie vor zeigen Redakteure mit dem Bäh-Finger auf PR-Menschen – während sie selbst mit Corporate Publishing-Abteilungen, die inzwischen von allen großen Verlagen gegründet wurden, unter einem Dach arbeiten.
  • Sie stellen mit stolzgeschwellter Brust ihre Unabhängigkeit als Tugend ins Schaufenster – und entwerfen gleichzeitig auf Geheiß der Verlagsleitungen mit Anzeigenkunden Kampagnen im Native Advertising.
  • Sie nehmen für sich in Anspruch, der Macht furchtlos und kritisch auf die Finger zu schauen – und spielen die Conferenciers und beflissenen Stichwortgeber für Industriegrößen und Banker, die auf Podien und als zahlende Gäste dazu beitragen sollen, die für die Wirtschaft kreierten Tagungen und Konferenzen ihrer Medienhäuser kommerziell erfolgreich zu machen.
  • Glauben die Chefredakteurinnen und -redakteure tatsächlich, Leserinnen und Leser würden keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem jubilierenden Artikel über eine Geschäftsneueröffnung und der viertelseitigen Anzeige des Geschäftsgründers auf derselben Zeitungsseite? Oder dass alle geilen Fotos im Autoteil von den Herstellern zur Verfügung gestellt wurden und die Fotos vom Tropen-Resort im Reiseteil vom Veranstalter (der auch die Reise des Berichterstatters bezahlt hat)? Wer mag an Zufall glauben, wenn es auf der Homepage des sogenannten Qualitätsmediums einen umfänglichen Schwerpunkt „Volkskrankheit: Allergien“ gibt, in dem wochenlang die Werbebanner einer bestimmten  Krankenkasse auftauchen?

 

Nein, liebe Journalistinnen und Journalisten, liebe Ex-Kolleginnen und -kollegen, die schlichte Zweiteilung der Medienwelt ist längst eine pure Fiktion. Das heißt nicht, dass ich für eine Aufweichung der definierten Rollen und Funktionen bin, die Journalismus und PR aus systemischen Gründen unterscheiden. Ich teile nicht die Meinung von Frank Überall, PR sei auch eine Art Journalismus. Aber ich fände es konstruktiv, wenn beide Lager unverkrampfter miteinander kommunizieren würden. Die nötige Reflexion, ausgelöst von der Debatte um die Berufsbild-Definition des DJV, könnte beitragen, unser Miteinander, meinetwegen auch friedvolles Nebeneinander in einer Medienzukunft zu gestalten, die ohne jene stattfinden wird, die die dogmatische Trennung zwischen Journalismus und PR für die Stabilisierung ihres Selbstbildes brauchen.

Die Zukunft wartet nicht auf uns. Die kommt. So der so.

 

Damit ruinieren Journalisten ihre Glaubwürdigkeit

Es ist nicht zum Besten bestellt mit der Faktentreue, Relevanz und sachlich-moralischen Integrität im deutschen Tagesjournalismus. Darin waren sich die Teilnehmer einig, die am 13. Mai an einer Diskussionsveranstaltung des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher in Berlin teilnahmen, unter ihnen Ex-SPIEGEL-Chefredakteur Georg Mascolo; der Titel: „Skandalisierung und Hochfrequenz-Journalismus – Schaden für die Demokratie?“ Ein Debüt für mich: Zum ersten Mal seit meinem Wechsel aus der GEO-Redaktion in die Kommunikation der VolkswagenStiftung hat mich ein Thema zum Branchentreff gelockt.

Dass Lobbyisten wie ich sich freuen, wenn Medien ihre Mitteilungen verbreiten, dürfte niemanden verwundern. Verwundert war ich aber, dass genau dies immer lauter ausgerechnet von den Kommunikatoren beklagt wird: Dass die Medien, insbesondere Online-Dienste und Regionalzeitungen, ihre Pressemitteilungen häufig eins zu eins publizieren würden – unbearbeitet, unreflektiert, ohne kritische Nachfragen bei den Absendern. „Die Sitten verludern“, sagte einer auf dem Podium in Berlin.

Georg Mascolo hatte es trotz hanseatischer Gelassenheit schwer, das ethisch-moralische Selbstverständnis des Journalismus, das er politisch korrekt zu formulieren wusste, gegen die extrem widersprüchlichen Fallbeispiele aus der Kommunikationspraxis zu verteidigen.
“Herdentrieb” nannte Oliver Schumacher, Konzernsprecher der Deutschen Bahn, die Neigung der Medien, sich schnell gemeinsam auf ein Thema zu fokussieren. Bestärkt werde dieser Trend dadurch, dass sich insbesondere Regionalmedien an jene Themen dranhängen, die von den Leitmedien – FAZ, SZ, SPIEGEL etc. – gesetzt wurden.

Die freie Journalistin Merle Schmalenbach ergänzte: „Ich kenne Lokalredaktionen, da orientiert sich die überregionale Themensetzung an den Aufmachern eins bis drei bei SPIEGEL Online.“ Es sei auch billiger, bereits Recherchiertes nochmal aufzubereiten, als eigene Recherchen zu finanzieren oder Themen zu suchen – zumal Regionalzeitungen und Online-Dienste sich in der Regel keine Reporter, erst recht keine Korrespondenten mehr leisten können.

Falls solche Beobachtungen tatsächlich kennzeichnend sind für die Praxis in Regionalzeitungen, dann wird dort, nach einer Definition von Mascolo, „kein anständiger Journalismus“ produziert: „Wenn ein Autor zu mir sagt, ich hätte gern eine bessere Geschichte recherchiert, aber mir fehlte es an Zeit, dann lasse ich diese Entschuldigung nicht gelten. Erst wenn Fakten und thematische Durchdringung stimmen, kann man eine Bewertung durchführen. Als Journalist trägt man auch Verantwortung für die Folgen eines Artikels – beispielsweise für Personen und Unternehmen.“

Spontaner Widerspruch auf dem Podium: Man bescheinigte Mascolo Realitätsferne. Hans Mathias Keplinger, Empirischer Kommunikationsforscher an der Uni Mainz, sieht den Journalismus sogar „ in seinen Grundfesten erschüttert“. Die „völlig unsinnige“ Fixierung auf Seitenabrufe (Page Views), an denen wiederum Werbe-Erlöse hängen, habe etwa im Online-Journalismus einen Aktualisierungsdruck erzeugt, der dazu führt, dass „nicht mehr gefragt wird, was ist wahr, was ist relevant, was ist moralisch vertretbar?“. Stattdessen werde jede Menge „Schrott“ als Klicktreiber publiziert.

Auch die Einführung sogenannter Investigativ-Teams hat aus Sicht der Pressesprecher nicht zu einer Qualitätsverbesserung geführt, sondern eher zu einer Verschärfung. Bahn-Sprecher Oliver Schumacher, der sich nach eigenen Worten längst daran gewöhnt hat, „mindestens einmal im Monat“ im Fernsehen „vorgeführt zu werden“, berichtete von seinen Erfahrungen mit öffentlich-rechtlichen Investigativ-Journalisten: „Da bekommt man einen Katalog mit 50 Fragen, für deren Beantwortung kaum Zeit eingeräumt wird. Kein Anruf, kein Gespräch. Wenn ich die Fragen lese, weiß ich schon, was nach dem Willen der Journalisten bei der Sendung rauskommen soll. Dass die Bahn immer schuld sein muss, daran habe ich mich gewöhnt. Da kann ich antworten und argumentieren, wie ich will.“

Schumacher hatte auch ein Beispiel aus der Trickkiste der Fernsehjournalisten parat: „Da werden Sie aufgefordert, vor laufender Kamera ein bestimmtes Statement immer zu wiederholen. Und wenn Sie beim 15. Mal das Gesicht verziehen, weil Sie langsam ungeduldig werden, dann wird dieses Statement mit genervter Miene gesendet. darauf kann man sich hundertprozentig verlassen.“

Sogar Konzernmanager reagierten immer häufiger ratlos. „Warum senden die das, obwohl es gar nicht stimmt?“, werde Schumacher gefragt. Und ist froh, dass die Leitmedien die Skandalisierungsversuche der sogenannten Investigativ-Teams bislang niemals aufgegriffen haben. Auch bescheinigte man Reportern vom Schlage eines Leyendecker von der SZ tadelloses Handwerk. „Natürlich müssen wir uns auch der Kritik stellen. Natürlich ist nicht alles gut und richtig, was wir tun“, räumte Schumacher ein, „Aber hier geht es niemals um Aufklärung, aber immer um Entertainment.“

Schwarze Schafe? Negative Ausnahmen? Oder ist der Journalismus – zumindest im Online-Bereich und in den Regionalzeitungen – tatsächlich in der Selbstauflösung begriffen?
Wiederholter Applaus und häufiges Kopfnicken bei den gut 200 versammelten Pressesprecher/innen, zumal bei den Schilderungen von Negativ-Erfahrungen, legen den Schluss nahe, dass die Entprofessionalisierung im Journalismus tatsächlich Fahrt aufnimmt. Personalisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung werden vermehrt als Stilmittel eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hektik verhindert Reflexion. Wettbewerbsdruck trübt den Blick auf die Verhältnismäßigkeit. Und das Internet ermöglicht die Rund-um-die-Uhr-Publikation, was den Zeitdruck für alle Beteiligten – Pressesprecher wie Journalisten – auf ein bislang ungekanntes Maß hochgeschraubt hat.

Was wurde auf diesem Weg bisher gewonnen? „Leser und Industrie entziehen Print-Medien weiterhin die Gunst“, sagte Tilman Kruse, Sprecher des Deutschen Presserats und Justiziar bei Gruner + Jahr. Man verliert also ungebremst Abos und Anzeigen. Die volatilen Erregungszustände im deutschen Journalismus waren dem Geschäft bisher keineswegs zuträglich. Vielleicht droht sogar noch mehr Unheil: Wenn die Leser merken, wieviel unseriöse Information ihnen täglich zugemutet wird.

Wann werden es Medien wagen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und das Tempo zu drosseln? Sie würden sich, glaube ich, um die Glaubwürdigkeit des Journalismus verdient machen. Die steht nämlich auf dem Spiel.

Dass alle Diskutanten am Schluss betonten, dass die meisten Journalisten nach wie vor einen ordentlichen Job machen, klang mehr als bemüht. Das konnte meine Stimmung an diesem Abend nicht mehr aufheitern.