Die professionellen Vermittler von Wissenschaft, in erster Linie also die Pressestellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, haben es nicht leicht. Ihre Pressemitteilungen werden nicht gedruckt, weil es in den Redaktionen kaum noch Wissenschaftsjournalisten gibt, vor allem in den Regionalmedien. Ihr Terminkalender quillt über, weil die eigene Institutsleitung dauernd nach der Konkurrenz schielt und gern auch einen Science Slam, eine Lange Nacht der Wissenschaft, eine Kinder-Uni oder Multimedia haben will.
Die Kommunikatoren stellen sich notgedrungen den Herausforderungen sozialer Netzwerke, damit der Kontakt zu Studierenden und jungen Nachwuchswissenschaftlern nicht völlig abreißt. Aber am Jahresende ist die Pressestelle dann trotzdem Mitschuld daran, wenn zu wenig Drittmittel eingeworben wurden. Denn auch das soll Wissenschaftskommunikation heute leisten: Die Innovationskraft des eigenen Forschungshauses so überhöhen, dass die Gelder aus der Politik, der Wirtschaft und Wissenschaftsförderung munter sprudeln. Getreu dem Motto: Nur wer laut schreit, wird auch gehört.
Seit dem PUSH-Memorandum vor 15 Jahren ist zweifellos viel passiert in der Vermittlung von Wissenschaft. Aber ist die Wissenschaftskommunikation seither besser geworden?
Für kritische Selbstreflexion ließ der pralle Eventkalender der Branche bislang wenig Zeit. Hinter den Kulissen aber brodelt es schon lange. Wissenschaftler zeigen sich zusehends verunsichert in der Frage, ob, wieviel und welche Form von Wissenschaftskommunikation die Institutsleitungen und Förderer von ihnen erwarten? Und die verantwortungsbewussten unter den Kommunikatoren beschleicht zunehmend das schale Gefühl, ob sie recht daran tun, jede zweite Wissenschaftsmeldung mit Superlativen zu dekorieren oder gar als Durchbruch zu verbrämen?
Inzwischen greift mehr Grübeln um sich. Schon vor zwei Jahren haben acatech, Leopoldina und Berlin-Brandenburgische Akademie eine Arbeitsgruppe um den prominenten Soziologen Peter Weingart eingesetzt. Deren Aufgabe: Das „Verhältnis zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ auszuloten. Am 17. Juni 2014 wird der Abschlussbericht in Berlin präsentiert.
Und im Sommer 2013 traf sich der Siggener Kreis: gut zwei Dutzend kompetente Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaftsinstitutionen, Pressestellen, aus Wirtschaft, Politik und Journalismus. Kürzlich gab es ein Folgetreffen auf dem ostholsteinischen Gut. Heute publizierte der Kreis unter dem Label „Siggener Aufruf“ zwei Papiere: „Wissenschaftskommunikation gestalten“ und „Leitlinien für gute Wissenschaftskommunikation“.
Soviel vorneweg: ein Barrikadensturm wird hier nicht angezettelt. Statt entschlossener Forderungen (an wen auch?) wird ein erhabenes Wunschbild von Wissenschaftskommunikation entworfen. Genau dies ist aus meiner Sicht der Makel dieser verdienstvollen Initiative: Der sogenannte Siggener Aufruf dürfte es vor allem deshalb schwer haben, sich Gehör zu verschaffen, weil er niemanden zum Widerspruch herausfordert!
Denn wer wollte dagegen halten, wenn die Autorinnen und Autoren ihr Idealbild von aufrechter Wissenschaftskommunikation folgendermaßen konstruieren:
„Gute Wissenschaftskommunikation arbeitet faktentreu. Sie übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfolge und verharmlost oder verschweigt ihr bekannte Risiken neuer Technologien nicht. Sie macht Grenzen ihrer Aussagen sichtbar. Außerdem sorgt sie für Transparenz der Interessen und finanzieller Abhängigkeiten. Sie benennt Quellen und Ansprechpartner. Sie beantwortet die Frage, welche Bedeutung die Informationen für Wissenschaft und Gesellschaft haben und ordnet sie in den aktuellen Forschungsstand ein. Sie weicht nicht für Zwecke des Institutionenmarketings oder der Imagebildung von Faktentreue und Transparenz ab.“
Oder:
„Gute Wissenschaftskommunikation ist selbstreflexiv und selbstkritisch. Sie arbeitet wertegeleitet und strategisch und definiert Maßstäbe für die Qualität ihrer Arbeit und ihrer Ergebnisse. Sie organisiert ein Monitoring über die Erfüllung der Kriterien und ermöglicht deren Veränderung über Feedbackprozesse.“
Bevor sich nun Kenner der Wirklichkeit fragen, was genau hier beschrieben wird, sei es nochmal betont: Dies ist die Wissenschaftskommunikation, wie sie sich der Siggener Kreis für die Zukunft wünscht. Die Realität ist ja eher dadurch gekennzeichnet, dass die oben beschriebenen Qualitätskriterien eben nicht, zumindest aber viel zu selten im realen PR-Betrieb anzutreffen sind.
Woran liegt das? Zum Teil auch an den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst, die häufig nicht zu den glühendsten Anhängern enger Zusammenarbeit mit ihren Pressestellen zählen. Meist dient Zeitmangel als Absagegrund. Häufig spielt aber auch die Furcht hinein, durch Medienpräsenz bei den Fachkollegen anzuecken. Wahrscheinlich stellen sich viele aber auch eine simple Frage, auf die ihnen das deutsche Wissenschaftssystem – auch 15 Jahre nach PUSH – immer noch eine überzeugende Antwort schuldig geblieben ist: Was bringt es meiner Karriere, wenn ich Wissenschaftskommunikation betreibe?
Dass ohne eine motivierende Regelung dieser Frage die Qualität von Wissenschaftskommunikation immer wieder an Grenzen stößt, wissen natürlich auch die Mitdenker im Siggener Kreis – und legen den Finger in die Wunde, wenn sie formulieren:
„Wissenschaftler, die sich in den Dialog mit der Öffentlichkeit einbringen, verdienen besondere Unterstützung und Wertschätzung. Diese sollen sich auch in der nachvollziehbaren Berücksichtigung ihrer Kommunikationsleistungen in den Be- und Entlohnungssystemen der Wissenschaft ausdrücken.“
Mit anderen Worten: Forscherinnen und Forscher, die sich (im Verein mit ihren zuständigen Pressestellen) in der Wissenschaftskommunikation engagieren, müssen dafür ausgezeichnet werden – nicht (nur) mit Pokalen, sondern mit einer Gutschrift auf ihr Impact Factor-Konto. Dadurch würden Kommunikationsbemühungen neben Forschung und Lehre endlich auch für Bewerbungen relevant.
Doch vor einem solchen Schritt scheut das System bislang zurück. Neben anderen Gründen fürchten die Förderinstitutionen den Protest jener Professoren, die in wenig öffentlichkeitswirksamen Disziplinen unterwegs sind. Oder dass medienpopuläre Wissenschaftsvertreter von den Altvorderen gemobbt werden.
Neben vielen Fragen, die der Siggener Kreis aufwirft, dürfte die Wertschätzung für Kommunikationsbemühungen seitens des Wissenschaftssystems eine der entscheidenden sein. Bis hier keine eindeutige Haltung formuliert ist, bleiben die Pressestellen von vielen widerstreitenden Interessen getrieben. Und Forscher werden sich weiter fragen, welche Form von Wissenschaftskommunikation „das System“ sich von ihnen wünscht.
Der Siggener Kreis hat sein Diskussionsangebot zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation vorgelegt. Jetzt ist es an uns, dieses inspirierende Angebot konstruktiv anzunehmen.