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Journalismus braucht Wut und keine Demut!

Unter Deutschlands Arbeitnehmern verstanden sich Journalisten bislang als eine Art auserwähltes Volk. Sie beanspruchen das Privileg, den Mitmenschen die Zeitläufte zu deuten. Sie heben und senken die Daumen über den Leistungen von Politikern, Wirtschaftsführern, Wissenschaftlern – und beeinflussen vom Schreibtisch aus Karrieren und Schicksale. Bilden sie Jagdgemeinschaften, wie etwa in der Causa Christian Wulff, ist man froh, nicht selbst in ihrem Fadenkreuz zu stehen. Journalisten haben Spaß an ihrer Macht. Dass diese nur geborgt ist und sich aus der Reichweite ihrer Medien ableitet, schmälert nicht das Selbstbewusstsein. Ein Hang zur Überheblichkeit ist in der Branche verbreitet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich war über 20 Jahre lang Magazinjournalist.

Doch es scheint, als sei die Ära der Hoppla-jetzt-komm-ich-Journalisten abrupt zu Ende gegangen. In der Hoodie-Debatte der letzten Wochen tauchte wiederholt ein Begriff auf, der mir im Kontext meiner früheren journalistischen Tätigkeit niemals untergekommen ist: „Demut“. Journalisten sollten, so forderten Essayisten im Netz, in der ZEIT, in der FAZ, „demütiger“ werden: gegenüber ihren Kollegen – bezogen auf das Verhältnis zwischen Print- und Online-Ressorts – und gegenüber ihren Kunden, der sogenannten Öffentlichkeit.

Wenn Journalisten neuerdings Demut predigen, dann bereichert diese Haltung aus meiner Sicht die Medienkrise um ein weiteres Symptom. Man duckt sich weg, um nirgends anzuecken. Nachvollziehbar, wenn man um seinen Job fürchtet. Einerseits. Andererseits passt Demut schlüssig in das Bild, das der Journalismus zur Zeit an Außenstehende vermittelt: Die Branche selbst arbeitet an ihrem Bedeutungsverlust.

Mit sturem Blick auf die eigene Befindlichkeit wird gedruckt und digital heftig debattiert und um Visionen gerungen. Natürlich ist diese Diskussion um neue Geschäftsmodelle und Medienformate unerlässlich, damit der Journalismus seine Zukunft sichert. Was in den Branchenforen aber ausgeklammert wird, ist die Haltung der Verbraucher. Denen mangelt es nämlich völlig an Bewusstsein für Qualitätsjournalismus. Warum? Weil die Journalisten es versäumt haben, ein öffentliches Bewusstsein für Qualitätsjournalismus aufzubauen. Dabei sollte gerade in Krisenzeiten Eigen-PR ein Gebot der Stunde sein!

Wen interessiert es schon, außerhalb der Medienindustrie wohlgemerkt, dass der Journalismus in seiner gesellschaftlichen Funktion als Kontrollinstanz der Demokratie auf dem Rückzug ist? Wer kann wertschätzen, dass die Herstellung von gutem Journalismus Geld kostet und beispielsweise eine Zeitung folgerichtig einen Preis hat, wie jedes andere Produkt auch? – Die Gratiskultur, die Gleichförmigkeit der Nachrichten (die gleichen Aufmacher auf allen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen), das hektische Durchreichen unausgegorener Politiker-Statements – mit all dem trägt der zeitgenössische Journalismus dazu bei, nicht mehr als anspruchsvolles Handwerk wahrgenommen zu werden. Wenn im Kielwasser der medialen Ermittlungen gegen Wulff wegen angeblicher Vorteilsnahme obendrein rauskommt, wie bedenkenlos Journalisten fragwürdige Vorteile in Anspruch nehmen, etwa Presserabatte, ist die Selbstdemontage perfekt. Konsequent markieren daher Journalisten das Ende auf der Wertschätzungsskala für Berufe in Deutschland. Joschka Fischer soll sie schon vor langer Zeit „Fünf-Mark-Nutten“ genannt haben.

Wie konnte es so weit kommen?

Vor dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ hat keiner mehr Angst. Wie sich die Machtverhältnisse verschoben haben, wird in den Fernsehnachrichten deutlich, aber beileibe nicht nur dort: Routiniert fertigen Politiker schemenhaft wahrzunehmende Mikrofonhalter (handelt es sich um „demütige“ Journalisten?) mit phonetischen Modulen aus ihren Satzbaukästen ab. Kritische Nachfragen? In der Regel Fehlanzeige.

Der wachsende Druck, der auf den Berichterstattern lastet – immer mehr Schlagzeilen in immer kürzerer Zeit, immer mehr Konkurrenz auf immer mehr Kanälen – spielt den Eliten in die Hand. Sie haben kapiert, wie man Journalisten instrumentalisiert und manche auch als Steigbügelhalter missbraucht, um mit den eigenen Themen ganz groß rauszukommen. Nie war die Macht der Medien fiktiver als heute.

Es ist nicht zu spät, aber höchste Zeit, dass der Journalismus zu seinem früheren Selbstbewusstsein zurückfindet, Krise hin oder her. Und dass er seine eigene Bedeutung genauso selbstbewusst in die breite Öffentlichkeit trägt, als Lobbyist in eigener Sache. Mit Blick auf die Zukunft kann man gewiss über alles streiten. Nur in einem Punkt dürfte Übereinstimmung herrschen: Ohne Geld wird es nicht gehen. Geld, das Medienhäuser ihren angestellten und freien Journalisten für anspruchsvolle Arbeit zahlen. Geld, das Medienkonsumenten auch deshalb gern entrichten, weil sie verstanden haben, dass Journalismus kostet und zugleich einen Wert darstellt – nicht nur ökonomisch, sondern auch für die Gesellschaft. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Naiv? Pathetisch? Mag sein. Aber denkt doch trotzdem mal darüber nach, liebe Journalist(innen). Und tut mir einen Gefallen:

Predigt nie wieder Demut!

Hoodie-Journalisten rudern lachend die Galeeren

Dem Medienredakteur Harald Staun, Jg. 1970, ist in der jüngsten FAS ein veritables Kunststück gelungen. Mit nur 21 Zeilen Text, versteckt in der Gossip-Rubrik „Die lieben Kollegen“ am unteren Rand der Seite 41, verscherzte er es sich mit Deutschlands #Online-Journalisten. Und zwar gründlich.

Keinen interessierte Stefan Niggemeiers langatmige Abrechnung mit dem Live-Ticker-Unwesen auf derselben Seite. Nein, alle echauffierten sich über Stauns erstaunliche Distinktion zwischen „Internetexperten“ und „Journalisten“: Eine sorgsam formulierte Spitze gegen sz.de-Leiter Stefan Plöchinger, der in die Chefredaktion des Print-Organs einziehen soll, was einflussreiche SZ-Redakteure verhindern wollen.

Das Staunsche Kurzpamphlet löste einen Candystorm aus, der Plöchinger tief gerührt haben dürfte. In ausgelassener Sonntagslaune posteten Sympathisanten pausenlos Selfies im Kapuzenpulli, was offenbar Plöchingers bevorzugte Diensttracht ist. Der Hashtag Hoodiejournalismus war geschaffen, und die Solidarisierungswelle ebbte erst abends ab, als im Fernsehen der „Tatort“ anfing.

Aber heute ist wieder Montag. Niemand postet mehr in Wochenendlaune lustige Hoodie-Fotos. Die Onliner sind zurück auf ihren Galeeren, sitzen wieder auf ihren Ruderbänken und blicken neidisch hinauf zu den Sonnendecks, wo die Print-Redakteure Satz für Satz ihre wohlfeilen Kolumnen („Die lieben Kollegen“) ziselieren.

Man sollte die virale Erregung vom Sonntag nicht analytisch übertreiben. Aber ein Resümee sei erlaubt: Dass ausgerechnet ein Fachjournalist für den Mediensektor sich noch immer traut, die Haltung zu vertreten, Online-Journalismus sei was für Leichtmatrosen und richtiger Journalismus was für Print-Kerle – das ist schon erschütternd. Und selbst für ein konservatives Blatt wie die FAS ausgesprochen unzeitgemäß.

Nun hat man aber offenbar in der Online-Szene eingesehen, dass man dem diffusen Dünkel der Print-Oligarchen mit Argumenten nicht beikommen kann. Allen Diskussionen über die unausweichliche Medienkonvergenz zum Trotz, verteidigen trendresistente Print-Redakteure ihren Schützengraben gegen das Kapuzenpulli-Pack. Der letzte Sonntag hat bewiesen: Der Frontverlauf zwischen beiden Lagern ist intakt. Die Positionen sind zementiert. Und dieser Kulturkampf produziert nur Verlierer.

Die Print-Redakteure, die gegen die Onliner wettern, stehen selbst unter Druck und blicken mit Sorge in die Zukunft. Dass Heil und Segen im Online-Journalismus liegen sollen, glauben sie nicht. Die Erlöse sind zu dürftig. Und wenn dort tatsächlich der Journalismus von morgen produziert wird, warum engagieren sich dann nicht heute schon mehr Aushängeschilder der großen Leitmedien in ihren Internetauftritten? Warum beispielsweise schreibt Leyendecker nicht bei sz.de oder di Lorenzo bei ZEIT Online? Oder Kurt Kister bei sz.de? Warum entzweien sich die SPIEGEL-Chefredakteure in der Frage, was wichtiger ist: Print oder Internet?

Verlierer auf beiden Seiten. Die Redaktionsressourcen bleiben ungleich verteilt. Die Onliner werden in Tochtergesellschaften zweiter Klasse ausgegliedert, schlechter bezahlt, mehr gestresst. Die Verlage halten ihre Zukunftsinvestition so knapp, als glaubten sie selbst nicht an den Erfolg. Das schafft Frust. Und hält die Konflikte am Leben. Spaltung statt Einheit. Das kann doch eigentlich niemand in den Verlagen wollen, oder?

Für den FAS-Medienredakteur Harald Staun hat sich der Sonntag gelohnt. Zweistellig wuchs gestern die Zahl seiner neuen Twitter-Follower – die meisten Online-Journalisten.

Es scheint, als könnten sie es gar nicht abwarten, Stauns nächsten Keulenschlag zu empfangen.