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Journalismus braucht Wut und keine Demut!

Unter Deutschlands Arbeitnehmern verstanden sich Journalisten bislang als eine Art auserwähltes Volk. Sie beanspruchen das Privileg, den Mitmenschen die Zeitläufte zu deuten. Sie heben und senken die Daumen über den Leistungen von Politikern, Wirtschaftsführern, Wissenschaftlern – und beeinflussen vom Schreibtisch aus Karrieren und Schicksale. Bilden sie Jagdgemeinschaften, wie etwa in der Causa Christian Wulff, ist man froh, nicht selbst in ihrem Fadenkreuz zu stehen. Journalisten haben Spaß an ihrer Macht. Dass diese nur geborgt ist und sich aus der Reichweite ihrer Medien ableitet, schmälert nicht das Selbstbewusstsein. Ein Hang zur Überheblichkeit ist in der Branche verbreitet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich war über 20 Jahre lang Magazinjournalist.

Doch es scheint, als sei die Ära der Hoppla-jetzt-komm-ich-Journalisten abrupt zu Ende gegangen. In der Hoodie-Debatte der letzten Wochen tauchte wiederholt ein Begriff auf, der mir im Kontext meiner früheren journalistischen Tätigkeit niemals untergekommen ist: „Demut“. Journalisten sollten, so forderten Essayisten im Netz, in der ZEIT, in der FAZ, „demütiger“ werden: gegenüber ihren Kollegen – bezogen auf das Verhältnis zwischen Print- und Online-Ressorts – und gegenüber ihren Kunden, der sogenannten Öffentlichkeit.

Wenn Journalisten neuerdings Demut predigen, dann bereichert diese Haltung aus meiner Sicht die Medienkrise um ein weiteres Symptom. Man duckt sich weg, um nirgends anzuecken. Nachvollziehbar, wenn man um seinen Job fürchtet. Einerseits. Andererseits passt Demut schlüssig in das Bild, das der Journalismus zur Zeit an Außenstehende vermittelt: Die Branche selbst arbeitet an ihrem Bedeutungsverlust.

Mit sturem Blick auf die eigene Befindlichkeit wird gedruckt und digital heftig debattiert und um Visionen gerungen. Natürlich ist diese Diskussion um neue Geschäftsmodelle und Medienformate unerlässlich, damit der Journalismus seine Zukunft sichert. Was in den Branchenforen aber ausgeklammert wird, ist die Haltung der Verbraucher. Denen mangelt es nämlich völlig an Bewusstsein für Qualitätsjournalismus. Warum? Weil die Journalisten es versäumt haben, ein öffentliches Bewusstsein für Qualitätsjournalismus aufzubauen. Dabei sollte gerade in Krisenzeiten Eigen-PR ein Gebot der Stunde sein!

Wen interessiert es schon, außerhalb der Medienindustrie wohlgemerkt, dass der Journalismus in seiner gesellschaftlichen Funktion als Kontrollinstanz der Demokratie auf dem Rückzug ist? Wer kann wertschätzen, dass die Herstellung von gutem Journalismus Geld kostet und beispielsweise eine Zeitung folgerichtig einen Preis hat, wie jedes andere Produkt auch? – Die Gratiskultur, die Gleichförmigkeit der Nachrichten (die gleichen Aufmacher auf allen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen), das hektische Durchreichen unausgegorener Politiker-Statements – mit all dem trägt der zeitgenössische Journalismus dazu bei, nicht mehr als anspruchsvolles Handwerk wahrgenommen zu werden. Wenn im Kielwasser der medialen Ermittlungen gegen Wulff wegen angeblicher Vorteilsnahme obendrein rauskommt, wie bedenkenlos Journalisten fragwürdige Vorteile in Anspruch nehmen, etwa Presserabatte, ist die Selbstdemontage perfekt. Konsequent markieren daher Journalisten das Ende auf der Wertschätzungsskala für Berufe in Deutschland. Joschka Fischer soll sie schon vor langer Zeit „Fünf-Mark-Nutten“ genannt haben.

Wie konnte es so weit kommen?

Vor dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ hat keiner mehr Angst. Wie sich die Machtverhältnisse verschoben haben, wird in den Fernsehnachrichten deutlich, aber beileibe nicht nur dort: Routiniert fertigen Politiker schemenhaft wahrzunehmende Mikrofonhalter (handelt es sich um „demütige“ Journalisten?) mit phonetischen Modulen aus ihren Satzbaukästen ab. Kritische Nachfragen? In der Regel Fehlanzeige.

Der wachsende Druck, der auf den Berichterstattern lastet – immer mehr Schlagzeilen in immer kürzerer Zeit, immer mehr Konkurrenz auf immer mehr Kanälen – spielt den Eliten in die Hand. Sie haben kapiert, wie man Journalisten instrumentalisiert und manche auch als Steigbügelhalter missbraucht, um mit den eigenen Themen ganz groß rauszukommen. Nie war die Macht der Medien fiktiver als heute.

Es ist nicht zu spät, aber höchste Zeit, dass der Journalismus zu seinem früheren Selbstbewusstsein zurückfindet, Krise hin oder her. Und dass er seine eigene Bedeutung genauso selbstbewusst in die breite Öffentlichkeit trägt, als Lobbyist in eigener Sache. Mit Blick auf die Zukunft kann man gewiss über alles streiten. Nur in einem Punkt dürfte Übereinstimmung herrschen: Ohne Geld wird es nicht gehen. Geld, das Medienhäuser ihren angestellten und freien Journalisten für anspruchsvolle Arbeit zahlen. Geld, das Medienkonsumenten auch deshalb gern entrichten, weil sie verstanden haben, dass Journalismus kostet und zugleich einen Wert darstellt – nicht nur ökonomisch, sondern auch für die Gesellschaft. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Naiv? Pathetisch? Mag sein. Aber denkt doch trotzdem mal darüber nach, liebe Journalist(innen). Und tut mir einen Gefallen:

Predigt nie wieder Demut!

Hoodie-Journalisten rudern lachend die Galeeren

Dem Medienredakteur Harald Staun, Jg. 1970, ist in der jüngsten FAS ein veritables Kunststück gelungen. Mit nur 21 Zeilen Text, versteckt in der Gossip-Rubrik „Die lieben Kollegen“ am unteren Rand der Seite 41, verscherzte er es sich mit Deutschlands #Online-Journalisten. Und zwar gründlich.

Keinen interessierte Stefan Niggemeiers langatmige Abrechnung mit dem Live-Ticker-Unwesen auf derselben Seite. Nein, alle echauffierten sich über Stauns erstaunliche Distinktion zwischen „Internetexperten“ und „Journalisten“: Eine sorgsam formulierte Spitze gegen sz.de-Leiter Stefan Plöchinger, der in die Chefredaktion des Print-Organs einziehen soll, was einflussreiche SZ-Redakteure verhindern wollen.

Das Staunsche Kurzpamphlet löste einen Candystorm aus, der Plöchinger tief gerührt haben dürfte. In ausgelassener Sonntagslaune posteten Sympathisanten pausenlos Selfies im Kapuzenpulli, was offenbar Plöchingers bevorzugte Diensttracht ist. Der Hashtag Hoodiejournalismus war geschaffen, und die Solidarisierungswelle ebbte erst abends ab, als im Fernsehen der „Tatort“ anfing.

Aber heute ist wieder Montag. Niemand postet mehr in Wochenendlaune lustige Hoodie-Fotos. Die Onliner sind zurück auf ihren Galeeren, sitzen wieder auf ihren Ruderbänken und blicken neidisch hinauf zu den Sonnendecks, wo die Print-Redakteure Satz für Satz ihre wohlfeilen Kolumnen („Die lieben Kollegen“) ziselieren.

Man sollte die virale Erregung vom Sonntag nicht analytisch übertreiben. Aber ein Resümee sei erlaubt: Dass ausgerechnet ein Fachjournalist für den Mediensektor sich noch immer traut, die Haltung zu vertreten, Online-Journalismus sei was für Leichtmatrosen und richtiger Journalismus was für Print-Kerle – das ist schon erschütternd. Und selbst für ein konservatives Blatt wie die FAS ausgesprochen unzeitgemäß.

Nun hat man aber offenbar in der Online-Szene eingesehen, dass man dem diffusen Dünkel der Print-Oligarchen mit Argumenten nicht beikommen kann. Allen Diskussionen über die unausweichliche Medienkonvergenz zum Trotz, verteidigen trendresistente Print-Redakteure ihren Schützengraben gegen das Kapuzenpulli-Pack. Der letzte Sonntag hat bewiesen: Der Frontverlauf zwischen beiden Lagern ist intakt. Die Positionen sind zementiert. Und dieser Kulturkampf produziert nur Verlierer.

Die Print-Redakteure, die gegen die Onliner wettern, stehen selbst unter Druck und blicken mit Sorge in die Zukunft. Dass Heil und Segen im Online-Journalismus liegen sollen, glauben sie nicht. Die Erlöse sind zu dürftig. Und wenn dort tatsächlich der Journalismus von morgen produziert wird, warum engagieren sich dann nicht heute schon mehr Aushängeschilder der großen Leitmedien in ihren Internetauftritten? Warum beispielsweise schreibt Leyendecker nicht bei sz.de oder di Lorenzo bei ZEIT Online? Oder Kurt Kister bei sz.de? Warum entzweien sich die SPIEGEL-Chefredakteure in der Frage, was wichtiger ist: Print oder Internet?

Verlierer auf beiden Seiten. Die Redaktionsressourcen bleiben ungleich verteilt. Die Onliner werden in Tochtergesellschaften zweiter Klasse ausgegliedert, schlechter bezahlt, mehr gestresst. Die Verlage halten ihre Zukunftsinvestition so knapp, als glaubten sie selbst nicht an den Erfolg. Das schafft Frust. Und hält die Konflikte am Leben. Spaltung statt Einheit. Das kann doch eigentlich niemand in den Verlagen wollen, oder?

Für den FAS-Medienredakteur Harald Staun hat sich der Sonntag gelohnt. Zweistellig wuchs gestern die Zahl seiner neuen Twitter-Follower – die meisten Online-Journalisten.

Es scheint, als könnten sie es gar nicht abwarten, Stauns nächsten Keulenschlag zu empfangen.

Warum Großverlage keine Innovationen können

Als ich noch in einem Hamburger Magazinverlag gearbeitet habe, dachte ich, die Patentrezepte für die Zukunft des (bezahlten) Journalismus müssten von uns kommen. Aus einer Medienfabrik, bevölkert von Tausenden bienenfleißigen Kreativarbeiterinnen und – arbeitern. Ein vibrierender Think Tank, in dem die meisten ein Ziel verfolgen: ein innovatives Geschäftsmodell zu entdecken – oder am besten gleich mehrere davon -, damit die Zuversicht zurückkehrt in eine Branche, der Selbstbewusstsein und ökonomische Wohlfahrt zusehends abhanden kommen.

Das, so dachte ich, sei unsere Mission.

Bis zu meinem Abgang wurde das Goldene Vlies leider nicht gefunden. Und auch die Wettbewerber in München und Berlin sind bis heute nicht erfolgreicher. Trotzdem trauen Medienbeobachter noch immer am ehesten den Inhaltefabriken zu, die lebensverlängernden Maßnahmen für qualitätsvollen Journalismus zu erfinden.

Ich sage es ungern, aber wer glaubt, die rettende Idee würde tatsächlich aus Großverlagen in kommen, der irrt. Allein ihre schiere Organisationsgröße verhindert radikales Umdenken. Wie andere Industriebetriebe verfügen auch Verlagskonzerne über ein enormes Beharrungsvermögen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen; das ist systembedingt. Sie sind zu überreglementiert, um sich auf Marktveränderungen einzustellen. Sie sind zu traditionsverhaftet, um sich ein anderes Geschäftsmodell überhaupt vorstellen zu können als jenes, das ihnen jahrzehntelang eine goldgerahmte Existenz beschert hat. Ihre Bürokratie ist hochdifferenziert und führt ein Eigenleben, unbeeindruckt von den sprunghaften Gestaltungswünschen wechselnder Vorstände. Und „der Apparat“ versteht es, das Einsickern neuer Ideen zu verhindern. Innovationen werden verwaltet, Ideen zerredet, Experimente vermieden – zumindest wenn sich der Erfolg nicht schon vor dem Start vorhersagen und in Cents und Euros berechnen lässt. Angststarre verhindert Wagemut. Revierverteidigung vs. Neuland.

Dass wir Redaktionen der Verlagsverwaltung Paroli bieten und den Aufbruch in die Zukunft selbst vorantreiben müssten, haben wir festangestellten Journalisten damals natürlich geahnt. Und unser schlechtes Gewissen kompensiert mit Verwünschungen der „Erbsenzähler“ und dem rituellen Vorwurf skandalöser Ideenlosigkeit an die Adresse der Vorgesetzten. Deshalb hörte kaum mehr einer auf unsere Nörgelei. Deshalb auch ist der Einfluss der Redaktionen inzwischen weitgehend aufgezehrt. Sie haben sich damit abgefunden, von anonymen Mächten auf dem Spielbrett hin und her geschoben und auch geopfert zu werden. Wer noch im Spiel ist, tut nach Leibeskräften, was er immer tat – nur vorsichtshalber noch viel, viel mehr davon.

Dass trotz der geballten Kreativkräfte auch die Großkonzerne keinen Kompass in eine bessere Zukunft haben, hat 2012 der Pilgerzug von Springer-Führungskräften ins Silicon Valley bewiesen. Nachdem man in den vielen Etagen des Springer-Hochhauses in Berlin niemanden mit einer guten Idee auftreiben konnte, wollte man welche aus dem Gelobten Land importieren. Doch an sichtbaren Mitbringseln aus Kalifornien sind bislang nur zu bestaunen: Kai Dieckmanns eigenes Redesign als Nerd mit Bart sowie die Einrichtung eines Inhouse-Inkubators mit – aus dem Stand – 100 Mann Besatzung: Axel Springer IdeAS Ventures („Wir arbeiten mit modernsten Technologien und agilen Methoden“).

Ob es eine gute Idee ist, einen Schnellen Brüter für Startups im Einflussbereich der eigenen Verlagsbehörde zu installieren, mag fraglich erscheinen. Wegweisend ist aber auf jeden Fall die Erkenntnis, die dahinter steht: Dass Großverlage aus sich heraus keine bahnbrechenden Ideen (mehr) hervorbringen können. Keine populäre Innovation im Mediengeschäft der letzten zehn Jahre, zumal im Internet, ist das Produkt eines deutschen Verlagskonzerns gewesen. Mag sein, dass sie das Know-how haben, gute Ideen richtig groß zu machen. Aber die Funken sprühen woanders.

Google, Facebook und andere Medienkonzerne, die zu schnell zu fett geworden sind, machen es inzwischen vor: Gute Ideen, auf die man selbst nicht mehr kommt, werden eingekauft und einverleibt. Shoppen gehen auch deutsche Medienkonzerne – und erwerben Tierfutterversender, Immobilienportale oder Special-Interest-Plattformen, die ohnehin schon gut laufen. Startups, zumal im Medienbereich, gelten als Sicherheitsrisiko und Störfall. Die prüft man in Deutschland gründlich und nach allen Regeln der Kunst – bevor man sich entscheidet, lieber die Finger davon zu lassen.

Auf dem internationalen Medienmarkt fällt das Zaudern der deutschen Großmedienmächte nicht weiter auf. In den USA lassen risikofreudige Investoren Visionäre nach Herzenslust experimentieren – und scheitern. No risk, no fun. Dort ist die Zuversicht vorhanden, dass irgendwann auch ein Volltreffer dabei sein wird, ein Medienformat, mit dem sich Geld verdienen lässt. Manches ist ja auch schon geglückt, weiteres wird folgen. Crisis? What crisis?
Was dem deutschen Journalismus fehlt, ist ein Bündnis von Kapital und Kreativität. Und der gemeinsame Mut zum fröhlichen Scheitern.

Es langt nicht mehr, sich dauerhaft in der Dauerkrise einzurichten und immer nur darauf zu warten, dass die anderen eine gute Idee haben.

Warum man mit Online-Journalismus kein Geld verdient

Es ist fast vier Jahre her, seit ich GEO.de als Redaktionsleiter verlassen habe. Seither beobachte ich das Mediengeschehen im Digitalbereich vom Spielfeldrand, linke mich hinein via Twitter und Facebook. Und beobachte mit wachsender Beklemmung, mit welcher Inbrunst digital Publizierende sich an die Vision vom Internetjournalismus klammern. Von Jahr zu Jahr die immer gleichen Verheißungen und Durchhalteparolen. Die ritualisierte Verachtung für die erodierenden Geschäftsmodelle der Altpapier-Verlage. Die Hymnen und Verteufelungen, wenn in den USA mal wieder ein neues Medienformat Sogkraft entwickelt, etwa Huffington Post oder Buzzfeed. Sogleich erhebt sich dann die unvermeidliche Frage, ob dies nun der lange erwartete Durchbruch für den Online-Journalismus wird? Aber nein, das war er wieder nicht. Na ja, macht nichts. Irgendwann muss er ja kommen, der Durchbruch.

Altmedien sind nicht totzukriegen
Online-Journalismus ist der Strohhalm, an den sich vor allem die freien Journalisten klammern, die hochmotivierten Ich-und-Du-AGs. Doch hinter der chronischen Aufbruchsstimmung, der ständigen Nervosität ob all der ständig neuen Tools, Apps und Formate verbirgt sich hierzulande: Stillstand. Die im Internet dauernd tot gesagten “Altmedien” erweisen sich in Deutschland, trotz unübersehbarer Krisensymptome, als unerwartet resistent. Zumindest den großen Verlagen geht es immer noch gut – wohlgemerkt den Anteilseignern, nicht den Redaktionen -, und die Öffentlich-Rechtlichen sind sowieso “too big too fail”, d.h. die Zwangsgebühren sorgen dafür, dass bei ihnen die Sonne niemals untergeht.

Leser wollen nicht zahlen
Während die Online-Dienste der Altmedien ihre Reichweiten ständig ausbauen – und zwar mit Millionenzuwächsen an Besuchern pro Monat, nicht mit 50 oder 100 -, füllen die vielen, vielen Medien- und Journalismusblogs und -Portale die Nischen im Netz und sind für die Betreiber wie für ihre Leserinnen und Leser in erster Linie: Liebhaberei. Diese Online- Journalisten, so sie sich als unternehmerische Journalisten verstehen, verdienen kein Geld und die Nutzer wollen keines zahlen.

Auch die Großen ahmen nach statt zu erfinden
Dass es den großen Online-Diensten besser geht als den kleinen, dass sie Werbeplätze verkaufen können, liegt an den starken Print-Marken, deren Glanz auch auf sie strahlt. Ihnen verdanken sie Anziehungskraft, Glaubwürdigkeit, die Vorzüge eines eingespielten Redaktionsapparats und, bei den meisten, Quersubventionierung. Mit diesem Wettbewerbsvorteil spielen die Großen in ihrer eigenen Liga – und können zum Zwecke der Selbst-PR auch mal neue Formate ausprobieren, die gewöhnlich in den amerikanischen Online-Redaktionen erfunden und dann mit Zeitverzug importiert werden („Snowfall“, Datenjournalismus etc.). Solche Nachahmungen werden dann wieder von den Medienblogs als Innovation gefeiert – und als Zeichen für den nahen Durchbruch.

Die Altmedien führen den Digitaldiskurs an
Während die Theoretiker jede Woche einen neuen Hype mit hektischen Kommentaren durch die Blogosphäre und die sozialen Netzwerke treiben, scheitern die Praktiker: Die Zahl der über Jahre durch Crowdfunding finanzierten Recherchen liegt unter der Zahl von Reportagen, die etwa der STERN in einer einzigen Ausgabe druckt. Und die in der FAZ oder ZEIT publizierten Essays über den digitalen Wandel bestimmen die öffentliche Debatte sehr viel nachhaltiger und weitreichender als das einem so verdienstvollen Portal wie netzpolitik.org jemals beschieden sein wird.

Reich werden nur die Aggregatoren
Macht nichts, mögen die spezialisierten Blogger dagegen halten, wir haben eine kleine, feine Zielgruppe. Okay, antworte ich dann, aber weiß eure Zielgruppe euer Engagement auch zu wertschätzen, z.B. mit Spenden über flattr? – Schweigen.
Die einzigen, die Wertschöpfung aus journalistischem Wissen und Talent ziehen, sind Dienste, die mit Online-Journalismus nichts am Hut haben: Auch mit den kostenlosen Beiträgen und Nachrichten aus der Blogosphäre wurden Google, Facebook, Twitter zu milliardenwerten Unternehmen. Und Huffington Post und Buzzfeed und Reddit wenigstens zu zigmillionen teuren.

Nie gab es mehr gedruckte Medienvielfalt
Während aber die Romantiker weiter auf den Durchbruch des (bezahlten) Online-Journalismus warten, wächst die Zahl der neuen Printtitel. Niemals gab es mehr Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland – wenn auch viele davon in niedriger Auflage -, niemals mehr Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt. Und was den Nachwuchs an den Journalistenschulen in Hamburg, Köln oder München anlangt: Auch 2014 träumen die jungen Leute von einer Karriere beim STERN, bei der ZEIT, der Süddeutschen – wohlgemerkt in der Print-Redaktion, nicht im Online-Ressort.

Wer also den Glauben an Durchbruch des Online-Journalismus nicht aufgeben will, dem bleibt nur eines: ihn persönlich verwirklichen. Denn mehr Durchbruch wird nicht kommen.

Journalisten suchen „Sauereien“ im Internet

Thomas Rommerskirchen ist Chefredakteur des Szene-Blatts “prmagazin” – und ganz offenkundig kein Freund des Social Web. Im Editorial (“Die ordentliche Zeitung”) zur aktuellen Ausgabe untermauert er seine Haltung mit klaren Worten. “Das Internet” geißelt er als “diabolischen Brandbeschleuniger”, Blogs als die Verwurster “unrecherchierter Geschichten”, die von Journalisten aufgegriffen würden. Und das aus seiner Sicht Schlimmste: Die PR-Branche fällt auf diesem Internet-Schischi auch noch rein. Von den Kommunikationsverantwortlichen würden…

…munter Ponyhof-Selbstdarstellungen von Unternehmen, Institutionen und Politikern mit hunderten von netten Geschichten auf PR-Domains installiert, gepflegt und aktualisiert. Und kein Schwein interessiert sich dafür.”

Nach dieser charmanten Attacke auf die Kompetenz der Zielgruppe seines eigenen Magazins gibt´s gleich noch eine saftige Klatsche für alle internetaffinen Journalisten:

„Journalisten suchen online entweder harte Fakten wie Telefonnummern, Namen, Bilanzen oder – Sauereien.“ 

So schlicht also ist das Bild, das Rommerskirchen von den beruflichen Fähigkeiten und dem Selbstverständnis der Journalisten hat: Entweder sie betreiben “harte” Recherche, indem sie Telefonnummern googeln. Oder sie nutzen das Internet, um nach “Sauereien” zu suchen. 

Dieses Editorial hat mich beschäftigt wie schon lange keines mehr. Ich habe es wiederholt gelesen. Ich habe jeden Satz abgeklopft, ob sich dahinter nicht eine raffinierte Ironie verbirgt oder eine tollkühne Provokation, um die Leser aus der Reserve zu locken, eine typische PR-Masche also. Aber am Ende meiner Analyse steht die bange Befürchtung, Rommerskirchen meint tatsächlich ernst, was er da schreibt.

Dass Social Media immer wieder eine Rolle in seinem Blatt spielt, dass auch in der aktuellen Ausgabe eine fachwissenschaftliche Publikation über die Nutzung sozialer Medien in deutschen Verbänden steht (S.68-75), bremst die Lust des Chefredakteurs am Geisterfahren keinen Deut.

Wir wissen nicht, welche traumatischen Erfahrungen T.R. im Internet sammeln musste, um eine solche Anti-Haltung zu entwickeln. Dass man dem Zeitgeist mal eine lange Nase zeigt, wäre ja sogar mutig gewesen. Aber da Rommerskirchen von den Funktionsweisen des Social Web offenbar keine Ahnung hat, hätte er lieber geschwiegen. Vor Schlimmerem dürfte ihn der Umstand bewahren, dass er das prmagazin im eigenen Verlag herausgibt und deshalb Kündigungsschutz genießt.

Aber Rommerskirchens wütet nicht bloß gegen das Internet. Im Gegensatz dazu baut er ein mediales Gegenbild auf, dem seine Branche bitte wieder mehr Zuwendung schenken soll. Es ist ein unbefleckter Gegenentwurf zu dem giftig blubbernden Digital-Moor, aus dem Kreaturen namens Blog, Forum und Twitter ihre Fratzen erheben – es ist ”die ordentliche Zeitung”:

„Wenn die fröhlichen Eskapaden des Limburger Bischofs Tebartz van Elst nur in Online-Foren, Blogs oder der einen oder anderen Online-Redaktion aufgetaucht wären, hätte der Papst sie sicher erst zur Kenntnis genommen, nachdem eine ordentliche Zeitung sie aufgegriffen hätte.“

Folgt man der Behauptung von Rommerskirchen, dann ist nur eines gewiss: Der Limburger Bischof hätte wohl noch viele Monate prassen können, bevor ihm ein Print-Medium auf die Schliche gekommen wäre. Denn Spiegel Online und Spiegel TV hatten die Story vor allen anderen. Und wann die Geschichte im L’Osservatore Romano aufgetaucht wäre, damit der Papst auf analogem Weg Kunde aus dem fernen Limburg erhält, sei ganz dahin gestellt.

Lieber Herr Rommerskirchen, trotz hochgezogener Augenbrauen freue ich mich schon auf Ihr nächstes Editorial. Bei der Lektüre fühle ich mich mindestens zehn Jahre jünger – zurückversetzt in eine Zeit, als man auch in der Medienbranche noch Ansichten wie die ihre fand.

Stiftungsfinanzierter Journalismus

Die Diskussion über die so genannte Krise im so genannten Qualitätsjournalismus hat naturgemäß viele Facetten. Die Frage nach der Finanzierung ist eine davon, gewiss sogar eine wichtige. Dass die Publikumsverlage ihre Verluste im Printbereich nicht durch Werbe-Einnahmen im Online-Bereich ausgleichen können, gilt als bewiesen. Deshalb suchen sich die großen Häuser nach neuen Geschäftsfeldern, die nichts mehr mit Journalismus zu tun haben: Burda verkauft u.a. Tierfutter; Springer betreibt Immobilienportale.

Die neuen Mischfinanzierungsmodelle haben allerdings nicht die Sorge gemildert, dass wirtschaftliche Grenzen die Ausübung von so genanntem Qualitätsjournalismus künftig drastisch erschweren könnten. Tatsächlich werden fast wöchentlich Redaktionen reduziert, die Arbeitslast nimmt zu, die Zeit für Recherchen ab. Und noch ist ein Ende des Sparkurses gar nicht abzusehen.

Um das Implodieren des Geschäftsmodells “Journalismus” zu verhindern, wird der Ruf nach alternativen Finanzierungskonzepten laut. Kultur-Flatrate, Crowdsourcing, aber auch die Förderung durch Stiftungen, werden heftig diskutiert – demnächst auch auf der WissensWerte in Bremen!

„Wie retten wir den Journalismus“ lautet die Panel-Diskussion am 25.11.2013, 14.30 – 16.00 Uhr.

In meiner beruflichen Eigenschaft als Kommunikationsleiter der VolkswagenStiftung, Deutschlands größter privater Wissenschaftsförderin, darf ich in der Runde den Part der Stiftungen übernehmen.

Habt ihr Anregungen für das Panel? Dann bitte her mit Fragen, Ideen, Kommentaren!