Grenzwerte-Debatte: Was Wissenschafts-PR und Journalismus aus der Lungenärzte-Affäre lernen können

Malte Kreutzfeldt, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der taz, ist der Held der Woche. Und Dieter Köhler, der pensionierte Lungenarzt, der ein paar Tage lang der gefragteste Interviewgast der Republik war, gilt nun bloß noch als ein bis auf die Knochen blamierter Querulant aus der Provinz.

Was ist geschehen?

Nun, Kreuzfeldt hat das getan, was fast alle anderen Journalisten unterlassen haben: Er hat nachrecherchiert, was Köhler in seinem umstrittenen „Positionspapier“ zum Besten gab, hat ergänzend ältere Köhler-Artikel gegoogelt und nachgerechnet, mit welchen „Fakten“ der streitbare Rentner die Befunde der internationalen Wissenschaft in Sachen Stickoxiden und Feinstaub widerlegen wollte. Und dabei stellte Kreuzfeldt fest: Köhler hatte sich um Kopf und Kragen verrechnet. Was für Laien wie wissenschaftlich fundierte Herleitungen aussah, entpuppte sich bei Kreuzfeldts akribischer Überprüfung als purer Blödsinn. Dabei hätte es das Nachrechnen gar nicht gebraucht. Beim Science Media Center hatten internationale Fachwissenschaftler schon frühzeitig Köhlers Attacke mit Verweisen auf unwiderlegbare Studien pariert. Nur wurde dieser dezente Widerspruch in der medialisierten Öffentlichkeit nicht gehört.

Steile Themenkarriere, steiler Absturz

Seit Köhlers Enttarnung hageln nun Hohn und Spott auf ihn und seine Sympathisanten. Daran haben auch seine jüngsten Rechtfertigungsversuche nichts geändert. Vorn dabei: die selben Medien, die kurz vorher noch wetteiferten, um Köhler im O-Ton zu präsentieren. Den Kritikern von Grenzwerten kam die von den Medien befeuerte Debatte gerade recht. So machte sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Köhlers Argumente sofort ungeprüft zu eigen. Das „Positionspapier“ des Lungenarztes wollte er, im übertragenen Sinne, seinen Amtskollegen in Brüssel um die Ohren hauen, damit die Diskussion um Tempolimits oder gar Fahrverbote in den Innenstädten in seinem Sinne ein für allemal beendet würde.

Am Ende gibt es viele Verlierer

Daraus wird nun nichts werden. Die Befunde der Scientific Community bleiben offenbar unwiderlegt. Aber kann man deshalb von einem Sieg der Wissenschaft über populistische Faktenverdreher sprechen? Nicht wirklich. Denn was wir in den letzten zwei, drei Wochen erlebt haben, ist nicht bloß eine Posse. Einmal mehr wurden bedenkliche Dysfunktionen einer hypermedialisierten Gesellschaft offenkundig. Und am Ende gibt es mehr Verlierer zu beklagen, als bloß Dieter Köhler aus Schmallenberg im Hochsauerlandkreis.

Das Medienklischee vom Kampf David gegen Goliath

Da ist zum einen die Wissenschaft selbst, die in der öffentlichen Debatte zu lange unsichtbar blieb, obwohl sie die validen Argumente auf ihrer Seite hatte. Da sind aber auch die Medien, die ein Faible für polarisierende David-gegen-Goliath-Geschichten haben und es deshalb Köhler freimütig gestatteten, gleichsam als Einzelkämpfer gegen die geballte Fachforschung zu Felde zu ziehen. Verloren hat aber auch die Öffentlichkeit, nämlich den Glauben an die Deutungskompetenz von Medien und Wissenschaft. Und an die Glaubwürdigkeit beider.

Hätte es überhaupt besser laufen können?

Hätte es anders laufen können?  Josef Zens, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen GeoForschungsZentrum, ist skeptisch. In seinem lesenswerten Blogbeitrag sieht er zwei strukturelle Hürden: Wissenschaft sei stets auf Gründlichkeit bedacht, auf die strikte Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis – und darum seiner Meinung nach gar nicht darauf vorbereitet, in Konfliktlagen tagesaktuell zu reagieren. Punkt zwei: Den Medien mangele es an Selbstkritik – und allein deshalb werde sich am Hang zum Themenhype und Zuspitzung auch in Zukunft nichts ändern.

Zens kritisiert, ich hätte in meinem Blogbeitrag, ähnlich wie später Ulrich Schnabel in der ZEIT, einseitig der Wissenschaft Versäumnisse beim Krisenmanagement vorgeworfen. Dabei hätte, so Zens, …

„… die Wissenschaft (…) doch längst alle Fakten zum Feinstaub gesammelt. Hat sie dokumentiert und mitgeteilt – in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin aus dem November 2018. Hätte man sich ergoogeln oder erbingen können. Oder erfragen. Anrufen und Fragen stellen ist zwar „old school“ und manchmal mühsam, aber – ich glaube, der Fachbegriff heißt Recherche – es sollte zu den Grundtugenden einer Redaktion gehören. Wobei: Was rede ich von Tugend? Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von Journalist*innen, zu recherchieren.“

Diesem Statement kann man nicht widersprechen. Trotzdem bleibt für mich die Frage von Bring- und Holschuld. Also: Liegt es nicht im ureigensten Interesse der Wissenschaft, sich in der Öffentlichkeit wahrnehmbar zu positionieren, wenn in Konfliktlagen, häufig durch die Mitwirkung von Medien begünstigt, ihre Glaubwürdigkeit attackiert wird? Oder soll man dem Schicksal freien Lauf lassen und darauf hoffen, dass irgendwann ein wissenschaftlich geschulter Redakteur der taz seine knapp bemessene Arbeitszeit zufällig in die Aufgabe investiert, den Wahrheitsgehalt einer privaten Presse-Erklärung zu überprüfen (denn mehr ist das „Positionspapier“ von Köhler & Co. nie gewesen)?

Wir müssen wieder mehr über Handwerk reden

Nachdem sich der Staub gelegt hat, sollten Wissenschaft, PR-Verantwortliche und Wissenschaftsjournalisten sich jetzt nicht gegenseitig Schuld zuweisen. Da stimme ich Josef Zens einmal mehr zu. Der Vorfall könnte, nein, er sollte ein Anlass sein, in einen offenen Dialog einzusteigen. Sich also offen darüber auszutauschen, in welchen Fragen man sich von der jeweils anderen Seite mehr Verständnis, mehr Kompetenz, mehr Verantwortung, wünschen würde – und mehr ehrliche Selbstkritik. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass sich solche Vorgänge wiederholen. Auch wenn man sie gewiss nicht verhindern kann. (Über das Verhältnis von Wissenschafts-PR und -journalismus gibt es aktuelle Gastbeiträge im Blog von Reiner Korbmann.)

Ach ja, und Malte Kreuzfeldt sollte bitte dieses Jahr für einen fetten Journalismuspreis nominiert werden. Und das Team vom Science Media Center auch.  Beide haben sich um das Ansehen der Wissenschaft verdient gemacht – selbst wenn sie das vermutlich weit von sich wiesen, weil unabhängiger Journalismus sich mit niemandem gemein macht. Sonst wäre er ja nicht unabhängig…

 

 

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Grenzwerte-Debatte: Was Wissenschafts-PR und Journalismus aus der Lungenärzte-Affäre lernen können

  1. Josef König

    Sie haben vollkommen Recht, lieber Herr Rehländer,

    aber die beiden Welten leben nunmal in zwei deutlich unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Man kann noch so sehr an die Wissenschafts-PR und an die Wissenschaft appellieren, sie werden diese Geschwindigkeit in der Welt der Medien kaum mitzumachen im Stande sein. Wissenschaftler stehen nunmal nicht dauernd am Telefon und warten auf den Anruf, um wie aus der Pistole entsprechend Richtigstellungen zu schießen. Und sie werden sich um so mehr dieser Auskunftspflicht entziehen, je mehr ihnen das Gefühl vermittelt wird, entweder als Reparaturbetrieb von Medien herhalten zu müssen oder von diesen nach Belieben „vorgeführt“ und diskreditiert zu werden. Das ist leider bedauerlich, aber auch schwer zu ändern.

    Und bei aller Bringschuld, die Sie sie zurecht fordern: Jede*r Journalist*in lernt, dass zur Grundlage des Berufes Skepsis gehört, also Nachrichten auf ihren Wert und ihre Glaubwürdigkeit zu sichten und zu prüfen, sie nach zu recherchieren, bei Dritten nachzufragen, egal ob über Telefon oder sonstige Medien – so viel Zeit müsste sein Aber wenn selbst solche elementaren, zum Beruf gehörenden Verhaltensweisen in der Rush-Hour des Alltags untergehen, können Köhler und andere ihre Kühe durchs Dorf jagen – leider!

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