Wie schädlich ist Wissenschaftskommunikation?

Beim Workshop der VolkswagenStiftung “Image statt Inhalt? – Warum wir eine bessere Wissenschaftskommunikation brauchen” (http://www.volkswagenstiftung.de/index.php?id=2644) haben die Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski, Münster, und Matthias Kohring, Mannheim, kürzlich mit der Wissenschaftskommunikation abgerechnet:

Es gäbe „keine funktionale Begründung für öffentliche Wissenschaftskommunikation“. Sie zu fordern, würde „keinem Wissenschaftler von selbst einfallen“. Trotzdem beteiligten sich alle wissenschaftlichen Einrichtungen an dieser „Aufmerksamkeitsindustrie“. Warum? – Um Medienpräsenz in finanzielle Förderung umzumünzen.

Zitat: „Wer (als Wissenschaftler/Anm. JR) gegen Öffentlichkeit ist, macht sich verdächtig und gilt als zurückgeblieben. Dabei bedrohe Wissenschaftskommunikation „die Autonomie und die Funktionsweise von Wissenschaft“. Man gibt „dafür viel Geld aus, bindet die Zeit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und demotiviert sie zusehends, verschwendet also auch noch immense Ressourcen für diese falsche Strategie“.- Mit solchen Statements, man kann es wohl nicht anders ausdrücken, schockierten die beiden Forscher regelrecht die meisten der 80 geladenen Gäste im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover.

Dass insbesondere die anwesenden Wissenschaftskommunikatoren den Vortrag (http://www.volkswagenstiftung.de/wowk14/marcinkowski_kohring.html) der beiden scharf kritisierten, war wenig überraschend. Man würde es sich aber zu leicht machen, die Ausführungen als bloße Polemik abzutun. Deshalb will ich hier versuchen, die Argumentation nachzuzeichnen, vor allem anhand kurzer und längerer Zitate – als Auftakt für eine Diskussion im Netz über Qualitätskriterien für gute Wissenschaftskommunikation.

Die Argumentation
Für Marcinkowski und Kohring ist es „keineswegs selbsterklärend und selbstverständlich“, dass Wissenschaft sich an eine Laienöffentlichkeit wenden muss. Ob eine wissenschaftliche Aussage wahr oder falsch ist, entscheidet die Scientific Community aufgrund fachlicher Expertise. Dafür bedarf es nicht „der Zustimmung Dritter – schon gar nicht aller denkbaren Dritten“. „Wer dem skeptisch gegenüber steht, der möge sich vorübergehend einmal vorstellen, wie es wäre, in einer Welt mit öffentlicher Rechtsprechung zu leben“ – wo also Laien zu Gericht sitzen, die niemals Rechtswissenschaften studiert haben.

Wenn es also kein Indiz dafür gibt, „dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess dadurch befördert wird, dass möglichst viele zugucken oder im Begründungsverfahren mitreden“ – wer genau fordere dann überhaupt die Kommunikation von Wissenschaft in die breite Öffentlichkeit? Nach Ansicht von Kohring und Marcinkowski ist es, indirekt, die Politik. Früher hätten Politiker die Finanzierung des Wissenschaftssystems aus Steuermitteln mit dem Recht verknüpft, auch mitzuentscheiden, wofür diese Mittel eingesetzt werden. Aus dieser Detailsteuerung habe man sich aber angesichts der wachsenden Komplexität der Materie in den letzten eineinhalb Jahrzehnten zurückgezogen und den Wissenschaftsorganisationen mehr Autonomie bei der Budgetierung und Mittelverwendung zugestanden.
Gleichzeitig habe die Politik die Höhe der Finanzierung an Leistungsvereinbarungen geknüpft und auf diese Weise „die der Wissenschaft … wesensfremde Figur des Wettbewerbs propagiert“; „Wettbewerb wird öffentlich vorgeführt und für die Öffentlichkeit inszeniert – die prominentesten Beispiele sind die Exzellenzinitiative und die allgegenwärtigen Rankings.”

Um im Wettbewerb für finanzielle Ressourcen zu bestehen, seien die Institutionen gezwungen, „mit allen Mitteln an der eigenen Sichtbarkeit“ zu arbeiten. Das Vehikel dafür sei die Wissenschaftskommunikation. „Früher glaubte man, durch die Aufklärung der Laienbevölkerung mittels Wissen auch Akzeptanz für den Wissensproduzenten zu erzielen. Das hat zwar im Großen nie geklappt, hat aber noch einen rationalen Zug, der heutzutage fast rührend wirkt.“ Inzwischen aber diene Wissenschaftskommunikation keineswegs mehr „einer öffentlichen Kontroll- und Kritikfunktion oder gar einer Partizipation der Laienöffentlichkeit“, sondern „dem Primat der Eigenwerbung“, „der Medialisierung der wissenschaftlichen Einrichtungen“ – kurzum, sie sei eine „PR-Strategie“, mit „negativen Folgen für die Autonomie und die Funktionsweise von Wissenschaft“.

Ein längeres Zitat: „Das überzogene Streben nach Aufmerksamkeit löst sich nämlich völlig von der … Eigenlogik der Wissenschaft … – anders ausgedrückt: Wissenschaft tut nicht mehr das, wofür die Gesellschaft sie eigentlich bräuchte. Am sinnfälligsten wird das in scheinbar harmlosen und auf den ersten Blick sympathischen Forderungen, Wissenschaftler für die Wissenschaftskommunikation zu belohnen. Es gibt ja schon längst Zielvereinbarungen mit Professoren, in denen mediale Präsenz gefordert und bezahlt wird. Solche Anreize zielen darauf ab, die Wissenschaft so zu verändern, dass sie über sich selbst kommuniziert. Nicht die Wissenschaft hat dann den Primat, sondern die Kommunikation darüber.“ „Sichtbarkeit“ von Wissenschaft werde mit ihrer tatsächlichen wissenschaftlichen „Relevanz“ verwechselt. „Wir behaupten, dass eine übertrieben forcierte öffentliche Wissenschaftskommunikation – und zwar weil sie öffentlich ist – die Qualität von Wissenschaft systematisch zu verschlechtern droht.“

Schon wähle die Wissenschaft „Themen nach ihrem aktuellen Aufmerksamkeitspotenzial aus, … man produziert öffentlich darstellbare Ergebnisse oder kommuniziert nur solche Ergebnisse nach außen (man, das sind auch wissenschaftliche Zeitschriften) … – im Endeffekt werden der Wissenschaftler und sein Werk danach bewertet, ob sie an eine nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit vermittelbar sind.”

Wissenschaftskommunikation habe einen Mechanismus in Gang gesetzt – Kohring und Marcinkowski sprechen von „einer regelrechten Autosuggestion“ und einer „Ideologisierung des Begriffs“ – , „der sich zunehmend auf alle, auch auf die epistimischen Abläufe der Wissenschaft auswirkt und schon ausgewirkt hat, ja, der sich mehr und mehr in diese Erkenntnisprozesse der Wissenschaft hineinfrisst.“

Deshalb, so das Fazit der beiden Kommunikationswissenschaftler, könne es aus Sicht der Wissenschaft kein Ziel sein „bessere” Wissenschaftskommunikation zu fordern, sondern „diesen Mechanismus der öffentlichen Aufmerksamkeit und dessen unheilvollen Einfluss auf wissenschaftliche Erkenntnisse mit allen Mitteln außer Kraft zu setzen“.

Meine Meinung
Fassungslosigkeit war in den Gesichtern vieler deutlich abzulesen, die dem Vortrag zugehört haben. Die meisten dürften den Eindruck mitgenommen haben, die Kohring und Marcinkowski wollten die Wissenschaftskommunikation völlig abschaffen, weil sie nicht förderlich sei für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Laien – also auch Politikern – sei das Mitspracherecht zu verwehren, weil sie nicht über die dafür nötige fachliche Vorbildung verfügen. Einzig Wissenschaftsjournalisten akzeptieren Kohring und Marcinkowski als Instanzen, die kompetent genug sein (sollten), aus der Vielfalt von Studien jene herausfiltern, die für ihre jeweiligen Fächer tatsächlich „relevant“ seien und die diese dann einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen.

Ist das, was Marcinkowski und Kohring wollen, die Wiedererrichtung des akademischen Elfenbeinturms? Stammt ihr Bild von Wissenschaftskommunikation aus Vor-PUSH-Zeiten? Meiner Meinung nach: nur teilweise. Sie selbst beteuern am Ende ihres Vortrags, sie würden Wissenschafts-PR nicht generell für unnötig halten, aber vor einer „aus unserer Sicht fatalen Fehlorientierung von Wissenschaftskommunikation“ warnen. Und genau dies ist ein Punkt, der die Auseinandersetzung lohnt. Denn Fehlentwicklungen gibt es in der Wissenschafts-PR durchaus. Sie waren der Anlass zur Formulierung des „Siggener Aufrufs“; sie werden aufgegriffen in den „Empfehlungen“ der Akademien (http://www.acatech.de/de/publikationen/stellungnahmen/kooperationen/detail/artikel/zur-gestaltung-der-kommunikation-zwischen-wissenschaft-oeffentlichkeit-und-den-medien-empfehlungen.html) – und sie standen im Mittelpunkt des Workshops der VolkswagenStiftung.

Wer will bestreiten, dass die Aufgabe von Wissenschaftskommunikation nicht mehr nur die Vermittlung von Forschungsergebnissen an ein breites Publikum ist, sondern auch, fast möchte man sagen: „natürlich“, der Profilierung der eigenen Institution im Wettbewerb um Fördermittel dient? Die Pressestellen sind angehalten, möglichst viele Artikel in angesehenen Traditionsmedien zu initiieren, weil diese von jenen gelesen werden, die über Fördermittel entscheiden. Ihre PR-Strategien verfolgen das Ziel, größtmögliche Wahrnehmung zu erzeugen. Das hat dazu geführt, dass eher bescheidene Forschungserfolge in Pressemitteilungen sensationalisiert werden, dass nicht medienaffine Fächer in der Außendarstellung nicht vorkommen und etwa die Sichtbarkeit in Rankings als Gütesiegel für ganze Hochschulen missgedeutet werden.

Andererseits sorgen Forschungssprecherinnen und – sprecher dafür, Wissenschaft und Gesellschaft überhaupt in einen Dialog zu bringen. So verhindern sie die Konfrontation, die unvermeidlich würde, wenn die Wissenschaft sich dem Wunsch verweigert, ihr Forschungshandeln in der Öffentlichkeit darzustellen, über Mittelverwendung transparent zu berichten und offen zu sein für die Fragen und Sorgen der interessierten Laien. Wissenschaft ist auch Dienst an und für die Gemeinschaft!

Es wäre also nicht nur völlig unzeitgemäß, sondern auch töricht, der Wissenschaftskommunikation ihre Existenzberechtigung bestreiten zu wollen. Aber auch 15 Jahre nach PUSH scheint es große Unsicherheiten zu geben – dafür scheint mir der Vortrag wieder ein Indiz zu sein -, wie die Rollenverteilung zwischen Kommunikation und Forschern aussieht, wer welche Aufgaben zu übernehmen hat und welchen Anforderungen zu genügen. Es fehlt ein „Code of Conduct“.

Und wir Wissenschaftskommunikatoren müssen uns fragen, ob die Qualitätsstandards, die einzuhalten wir dauernd vorgeben, in der Praxis tatsächlich eingehalten werden? Generell gefragt: Wer definiert überhaupt, was qualitätsvolle Wissenschaftskommunikation ausmacht und wo sind diese Richtlinien niedergelegt?

Die Frage ist rhetorisch, denn die Antwort kennen wir alle: Es gibt den einen Kriterienkatalog für gute Wissenschaftskommunikation nicht. Auch nicht nach dem Workshop der VolkswagenStiftung, der sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte, Bausteine für eine „Charta guter Wissenschaftskommunikation“ zu erarbeiten, wie sie bereits der Siggener Kreis angeregt hatte.

Stattdessen hat der Workshop ein anderes (Teil-)Ergebnis erbracht, das im Moment vielleicht noch viel wichtiger ist: Kommunikatoren und Wissenschaftler haben dort angefangen, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Die Kommunikatoren haben eingestanden, dass sie nur ein vages Bild von den Standards in der eigenen Branche haben (Personalstärke, fachspezifische Ausbildung, Professionalisierungsgrad, Verortung und Kompetenzen innerhalb einer Organisation etc.), und Wissenschaftler bemängelten, dass nicht einmal Grundzüge der Wissenschaftskommunikation jemals Teil ihrer Ausbildung gewesen seien. Zudem seien die Rahmenbedingungen so, dass öffentlichkeitswirksames Engagement weder belohnt würde noch der Karriere diene, eher im Gegenteil: Medienpräsenz könne innerhalb einer Fachcommunity sogar ins Abseits führen.

Vielleicht war dies auch eine indirekte Reaktion auf den Vortrag von Kohring und Marcinkowski: Dass die Kommunikatoren und Wissenschaftler sich im Workshop motiviert fühlten, Zäune einzureißen, die der gegenseitigen Annäherung bislang im Weg gestanden haben. Das Angebot an den Bundesverband Hochschulkommunikation, an der nächste Studie der Akademien mitzuwirken (#wök) und sich dort besonders im Bereich „Web 2.0“ einzubringen, war ein weiteres Ergebnis dieser Annäherung. Allerdings ist der Weg, der in Hannover eingeschlagen wurde, noch weit. Sehr weit sogar.

Links:
Die Dokumentatzion des Workshops “Image statt Inhalt – Warum wir eine bessere Wissenschaftskommunikation brauchen” (#wowk14) : http://www.acatech.de/de/publikationen/stellungnahmen/kooperationen/detail/artikel/zur-gestaltung-der-kommunikation-zwischen-wissenschaft-oeffentlichkeit-und-den-medien-empfehlungen.html

Linkliste von Marcus Anhäuser mit Beiträgen zu #wowk14, Akademienpapier, Siggener Kreis: http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/empfehlungen-fuer-eine-besser-wissenschafts-pr-allerorten/

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