John Oliver hat es in seiner jüngsten Show „Last Week Tonight“ auf HBO getan und Sabine Rückert von der ZEIT in der aktuellen Ausgabe (S.2-3): Beide fordern ihre Zuschauer und Leser auf, Zeitungen zu kaufen und so die Demokratie zu stärken. Andernfalls, so heißt es beim Satiriker, werden korrupte Politiker eine fabelhafte Zukunft haben, weil es demnächst keine investigativen Journalisten mehr gibt. Und beim Wochenblatt sind es zehn Gebote unter der Überschrift „Was ich tun kann, um die Demokratie zu stärken, in der ich lebe“ (S.2-3); dort heißt es unter Ziffer 4: „Ich informiere mich. Ich höre, lese oder sehe Nachrichten, kaufe gute Zeitungen (zahle für sie auch im Internet), damit erhalte ich die selbstbewusste und kritische Presse, die unsere Demokratie vor autoritären Einflüssen schützt (…)“.
Wertschätzung für Journalismus schwindet
Oliver und Rückert haben unbestritten recht: Freie und unabhängige Journalisten sind als vierte Gewalt für eine demokratisch verfasste Gemeinschaft unverzichtbar. Aber wie groß muss die Verzweiflung auf der journalistischen Seite bereits sein, wenn man glaubt, durch bloße Appelle Käufer zurückzugewinnen, die den „guten Zeitungen“ den Rücken gekehrt oder als Digital Natives niemals gelernt haben, Zeitungen und die darin enthaltene journalistische Leistung zu wertschätzen.
Sind BILD-Leser keine guten Staatsbürger?
So politisch korrekt der Appell auch sein mag, so wirft er meines Erachtens auch Fragen auf. Wer, zum Beispiel, bestimmt, was „gute Zeitungen“ sind? Tun ZEIT-Leser was für die Demokratie, BILD-Leser aber nicht? Sind die Konsumenten öffentlich-rechtlicher Nachrichten bessere Staatsbürger als die von privaten TV- und Radioangeboten?
Ein fragwürdiges Selbstbild
Natürlich nicht, würden mir die Urheber des vierten Gebots antworten. Gleichwohl wird in dieser Formulierung ein Selbstbild deutlich („die selbstbewusste und kritische Presse“), das von großen Teilen des Publikums längst nicht mehr geteilt wird. Denn außerhalb ihrer eigenen Branche werden Journalisten nicht mehr ausnahmslos als unparteiische Gralshüter der Wahrheit wahrgenommen. Durch berechtigte und häufig auch nur polemische Vorwürfe zeigt sich die Zunft schon länger tief verunsichert. Welche Rolle werden wir in der Gesellschaft künftig einnehmen? Wie organisieren wir den Dialog mit unseren Zielgruppen? Mit solchen Fragen beschäftigen sich Redaktionen. Außer, so scheint es, bei der ZEIT.
Die Analogie zum Bio-Fleisch
Der Appell, verstärkt „gute Zeitungen“ zu lesen, erinnert mich ganz entfernt an die Aufforderung, nur noch Biofleisch zu essen, wenn man sich nicht dem Vorwurf der Beihilfe zur Tierquälerei aussetzen will. Biofleisch gilt in einem bestimmten Milieu als ethisch korrekt und man blickt mit Verachtung auf die Käufer von Discountfleisch herab. Doch die stört das nicht! Denn sie sehen ja an der Kasse, dass die anderen auch alle Billigfleisch kaufen. (Wenn ich mich nicht täusche, bewegt sich der Anteil der Bioprodukte am Gesamtmarkt für Lebensmittel in Deutschland noch immer im einstelligen Prozentbereich.)
Die eigentliche Zielgruppe bleibt unerreicht
Der gutgemeinte Appell wird also jene, die sich der Zeitung (und dem öffentlich-rechtlichen System) verweigern, nicht auf den Pfad der Tugend zurückführen – weil der Appell sie nicht erreicht, so lange er nur in der ZEIT gedruckt wird. Denn ZEIT-Leser müssen nicht bekehrt werden. Die haben ja schon eine „gute Zeitung“ gekauft. Sie haben getan, was im spezifischen Milieu der ZEIT-Produzenten und – Konsumenten als kultiviert und offenbar auch als demokratiestabilisierender Akt interpretiert wird. Unerreicht bleiben jene, denen die häufig schmale Internetkost reicht und jene, die „den Medien“ generell nicht mehr trauen.
Dialog auf Augenhöhe statt Gebote
Das presse-resistente Milieu ist ein vielschichtiges mit völlig unterschiedlichen Haltungen und Motiven. Diese Öffentlichkeit müssen Journalisten erreichen und durch ihre tägliche Arbeit vom Wert ihrer gesellschaftlichen Funktion überzeugen. Eben mit Arbeit, nicht mit bibelhaften Geboten. Auf Augenhöhe, nicht von oben herab.
Ob das die Abwärtsspirale bei den Erlösen stoppt, bleibt fraglich. Aber den Versuch lohnt es allemal.
Guten Morgen,
das fand ich parallel zu Ihrem Blog:
https://www.piqd.de/medien-gesellschaft/journalisten-sind-so-verzweifelt-dass-sie-auf-strategieberatung-von-einem-komiker-hoffen
Es gibt einige Probleme im Journalismus, die m.E. einem es schwierig machen, dafür zu bezahlen, auch wenn ich grundsätzlich mit Ihnen konform bin:
1) Es gibt unübersehbar guten Journalismus kostenlos. Wenn ich morgens online die „Qualitätsmedien“ (ZEIT, FAZ; nzz, spiegel, SZ) scanne, habe ich ich kaum noch Zeit für andere „Aktivitäten“. Warum also dafür bezahlen? (aus alter Gewohnheit lese ich seit mehr als 40 Jahren die ZEIT), wenn ich schon mit dieser Wahrnehmung zeitlich überfordert bin. Den durchschnittlich schlechten und immer schlechter werdenden Lokaljournalismus benötige ich kaum noch, TV empfinde ich als Zeitverschwendung.
2) Mich stört inzwischen sehr, dass viele Journalisten nicht den Job des Journalisten machen, sondern sich als „Möchte-gern-Politiker“ gerieren. Nachrichten und Kommentare sind kaum noch voneinander zu trennen, alles muss „gefeatured“ werden, und neuerdings ist „story telling“ das herausragende Muster. Wen ich aber stories aber lesen will, greife ich zur Literatur. Da steckt zumindest ein bestimmter Gestaltungswille und eine Stilabsicht hinter.
3) Es gibt eine starke Tendenz im Journalismus, die als „Selbstreferentialität“ bezeichnet werden kann: Medien zitieren Medien, Journalisten beziehen sich auf andere Journalisten, usw. … Wenn ich also wenige Wahrnehme, reicht mir das!
4) Vielfach stelle ich auch fest, dass wegen der Zeitknappheit ein Großteil der Journalisten nicht mehr die notwendige Recherche und geistige Durchdringung der wahrgenommenen Tatsachen und Ereignisse schafft. Selbst in Qualitätsmedien finde ich selbst bei „gestandenen“ Journalisten manche erschreckenden Fehler, die Unwissenheit widerspiegeln. Und wenn ich zudem, um ein Beispiel zu nennen, in „Fischer im Recht“-Blog lese und von seiner ausufernden Polemik abstrahiere, so muss ich ihm in vieler Hinsicht recht geben, wenn er Journalisten das Wissen von den einfachsten Rechtskategorien abspricht.
Wohlgemerkt: Ich bin und bleibe ein Mensch der Medien und in den Medien und ich halte Aufklärung und Information für ein wesentliches Element der Demokratie, auch wenn ich mich immer wieder selbstkritisch frage, ob ich (und andere) in dieser Welt der bewussten Desinformation noch in der Lage bin, Wahres von Falschem zu unterscheiden.
Mit bestem Gruß
Josef König
Nicht zu vergessen die, die sich weder Print noch Internet leisten können (die meisten Journalisten kennen die nur vom Hörensagen).
John Oliver’s Stueck war recht gut und ich kann auch die ZEIT nachvollziehen-aber was mir zu kurz kommt in der Debatte, gerade um Tageszeitungen, ist, dass so getan wird, als ob man ‚frueher‘ (TM) fuer Journalismus bezahlt hätte. Ein grosser Teil der Einnahmen kam durch die Monopol- oder gatekeeper Funktion. Craigslist, Ebay, Google Ads, Tinder usw. haben die Markt kaputt gemacht, denn Kleinanzeigen, Immobilien oder Heiratsanzeigen waren das wirkliche Geschäft der Zeitungen. Jetzt auf die grossen Newsportale zeigen ist nur ein Teil des Puzzles. ‚Frueher‘ (TM) haben dpa, AP ihre Meldungen an Monopolisten verkauft, heute braucht man das nicht mehr. Wenn man sich eine Tageszeitung von 1987 vornimmt und Werbung, sonstige Anzeigen, Fernsehbeilage und Ticker-Meldungen weg lässt wären viele erstaunt wie wenig ‚Journalismus‘ noch uebrigbleibt. Und ich meine Journalismus: Keine Veröffentlichung von Pfarrfesten, keine Beschreibung von A-Jugend-Fussballspielen und keine Wetten, Dass-Fernsehkritiken am Montag. Also genau diesen romantisierten Journalismus der ja offenbar unsere Demokratie gerettet hat. Natuerlich gab es immer mal wieder ein paar Hammer-Spiegel oder Stern-Titel-aber von den 50 Heften im Jahr waren auch viele dabei an die sich kein Mensch mehr erinnert, wo 1/3 der Seiten Werbung war oder lustige Cartoons. Also: Die ‚wir retten die Demokratie‘-Fahne tiefer hängen, gute Arbeit abliefern und sich klarmachen, dass Journalismus im 21.Jht nicht von ‚All the President’s men‘ Mythen leben kann…
Ich stimme zu: Auch früher war nicht alles Gold, was im Journalismus produziert wurde. Trotzdem: Wie sähen unsere öffentlichen Debatten aus, wenn es keine „Qualitäts“-Medien mehr geben würde? Infos wären ausschließlich interessengeleitet, Minderheitenmeinungen blieben ungehört. Der Journalismus ist in einem tiefen Wandel begriffen. Es geht nicht nur darum, zu kompensieren, was an Anzeigen verloren gegangen ist (wie viel das früher war, haben Sie ja anschaulich beschrieben), sondern es geht auch darum, Position zu beziehen gegen die vielen kritischen Anwürfe, teils berechtigte, häufig nur polemische. Dass sich Journalisten jemals gegen Vorwürfe wie „Lügenpresse“ zur Wehr setzen müssten, hätten sie sich noch vor fünf Jahren nicht träumen lassen.