Branchenbeobachter konnten sich schon immer viele Anlässe vorstellen, warum die Traditionsmedien irgendwann von „der Krise“ hinweggerafft würden. Aber was sich niemand auszumalen vermochte: Dass ausgerechnet die führenden Printmarken gar nicht erst abwarten, bis „die Krise“ lauter als bislang an ihre Pforten klopft – sondern sich vorher schon selbst zerlegen. Freiwillig, vor aller Augen und mit befremdender Leidenschaft.
Denn anders kann man wohl nicht deuten, was sich in den sommerlichen Chaoswochen bei Stern, Spiegel, Focus & Co. abspielt. Der eine Chefredakteur wird so abrupt entlassen, dass der Vorstand nicht mal Zeit findet, ihn davon in Kenntnis zu setzen. Der nächste – beim Focus – muss gehen, weil er sich widerborstig zeigt gegenüber den Dressurkommandos seiner Verlagsmanager. Und der Chefredakteur vom Spiegel wird von den Gesellschaftern dazu verdonnert, sich sein Zukunftskonzept von der Belegschaft genehmigen zu lassen. (Wahrscheinlich sucht man derweil im Hintergrund schon nach einem Nachfolger – jawohl, liebe Pro Quote-Frauen, es wird ein Mann werden, verlasst euch drauf…!)
Was ist los bei den Medienschaffenden? – Panik? Irrsinn? Auf jeden Fall legen die Ereignisse nicht den Verdacht nahe, die Beteiligten würden nach einem großen Plan handeln. Im Gegenteil: Hatten Medienkritiker den großen Verlagshäusern bislang nur unterstellt, sie verfügten über keine Konzepte, um das Ausbluten ihrer Renommiertitel zu bremsen, so treten die Schlechtgeredeten nun den Beweis dafür an, dass sie tatsächlich nicht wissen, wie sie ihre Blätter führen sollen.
Man muss kein/e Angehörige/r der betroffenen Verlage sein, um sich auszumalen, wie tiefgreifend verunsichert die Angestellten derzeit sind. Bei G+J steht die Zahl von 400 Stellenstreichungen im Raum. Konkret benannt sind erst 26. Fehlen noch 374. Eine große Zahl, die Angst in allen Abteilungen von G+J schürt.
Beim Spiegel begünstigt die kuriose Eigentümerstruktur, dass sich der Laden selbst lähmt. Über die Motive, psychischen Befindlichkeiten und die zunehmende Zahl der Kollateralschäden berichten die Branchendienste beinahe jeden Tag ausführlich. Sollte ein Führungswechsel unvermeidlich werden, wird man das Personal dafür aus den eigenen Reihen rekrutieren. Damit schließt man erneuten Innovationsdruck nachhaltig aus. Zum anderen dürfte nach der öffentlichen Demütigung und Demontage des Chefredakteurs kein externer Kandidat noch den Mut aufbringen, sich in die Arena an der Ericusspitze zu wagen.
Noch ist offen, wie die Scharmützel enden. Aber eine vorläufige Schadensbilanz lässt sich schon ziehen. Agenturen und deren Kunden dürften die Vorgänge in den betroffenen Verlagen mit Erstaunen verfolgt haben. Bei ihnen schwindet das Zutrauen, dass die Traditionsmarken mit Hochdruck an zukunftsfähigen Konzepten arbeiten. Ihre Neigung, dort zu werben, dürfte weiter abnehmen.
Die Konflikte haben offenbart, dass kein „Wir“-Gefühl die Verlage prägt, sondern ein „Alle gegen alle“: Verlagskaufleute gegen Redaktionen, Printleute gegen Onliner, ein Ressort gegen das andere, eine Abteilung gegen die andere – und über allem Vorstände, Gesellschafter und ein Medienkonzern in Gütersloh, die einen überforderten Eindruck hinterlassen.
Ich selbst leide an diesem Bild des Jammers, dass ausgerechnet die Top-Etagen im deutschen Magazinjournalismus derzeit bieten. Und mir tun alle leid, die in diesem Schauspiel mitwirken müssen, die meisten gegen ihren Willen. Und nie hätte ich gedacht, dass ich ausgerechnet den Axel Springer Verlag einmal für seine strategischen Züge bewundern würde. Denn während die sowieso schon gebeutelten Wettbewerber vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, zieht Springer den Medienwandel konsequent durch: gerade haben sie eine Kooperationsvereinbarung mit Politico getroffen.