Florian Harms, Chefredakteur von Spiegel Online, bezeichnete den Vorgang in einem Tweet als „Dammbruch“. Zu recht. Deshalb frage ich mich umso erstaunter, warum Online-Journalisten bislang kaum auf die Nachricht reagiert haben, die die Agentur Reuters kürzlich überbracht hat. Berichtet wird über eine markante Änderung bei der Auswahl der Inhalte, die Google in seiner News-Rubrik anzeigt
Wurden hier bislang Nachrichten von renommierten Medien gelistet, will Google künftig auch Pressemitteilungen und PR-Materialien aus Unternehmen gleichgewichtet platzieren. Der Entschluss datiert bereits vom September 2014, scheint aber bislang noch eher behutsam umgesetzt worden zu sein. Und um einem vorhersehbaren Vorwurf zu begegnen, beeilte man sich gegenüber Reuters noch hinzuzufügen, dass der Suchmaschinenbetreiber für diesen Service kein Geld von den Unternehmen erhält.
Zitiert wird eine Google-Sprecherin sinngemäß so, dass es das Ziel sei, Suchenden die beste Antwort mit nur einem Klick und in kürzester Zeit anzubieten. Die Quelle dafür kann der Artikel eines anerkannten Mediums sein, eines kleinen Nischenanbieters, aber genauso gut auch eine Presseerklärung.
Welche Konsequenzen diese Haltung in der Praxis hat, illustriert der Fall des weltgrößten SIM-Karten-Hersteller Gemalto. Im Februar 2015 hatte der Konzern eine Erklärung Edward Snowdens bestätigt, wonach die Firma das Ziel von Hackerangriffen amerikanischer und britischer Geheimdienste gewesen sei. Der Fall löste weltweites Medienecho aus.
Doch wenn man damals den Suchbegriff „Gemalto“ bei Google News eingegeben hat, tauchte an prominentester Stelle kein Medienbericht auf, sondern die Pressemitteilung von Gemalto, in der die Bedeutung des Vorfalls erwartbar heruntergespielt wurde, um die Kunden zu beruhigen.
Dass Google keinen Unterschied mehr macht zwischen Journalismus und PR ist in mehrfacher Hinsicht eine tiefe Zäsur. Dieses sind fünf Konsequenzen:
- Nachrichtenseiten werden seltener verlinkt: Aus eigener Erfahrung als Ex-Redaktionsleiter von GEO.de weiß ich, dass jede Listung bei Google-News einen signifikanten Traffic-Zuwachs auslöst. Das ist bares Geld für das traffic-basierte Werbegeschäft – Geld, das den Online-Medien künftig verloren gehen wird.
- Unternehmen beeinflussen die Nachrichtenlage im Netz: Für PR-Strategen ist der Schwenk von Google gewiss die bislang beste Nachricht des Jahres. Ich sehe die Arbeitskreise in den Marketingabteilungen bereits vor mir, die darüber beraten, wie sie sich mit Unterstützung von SEO-Experten in der News-Rubrik von Google sichtbar machen können.
- Für User werden Nachrichten und PR eins: Flüchtige Leser werden auf den ersten Blick nicht erkennen, ob sie gerade einen seriösen Medienbericht lesen oder einen PR-Text, der mit entsprechenden Darstellungsformen Journalismus imitiert. Durch die Aufwertung von PR-Texten wertet Google den Wert sorgfältig recherchierter Mediennachrichten ab. Der Reputationsschaden für den ohnehin lädierten Journalismus („Lügen-Presse“) dürfte immens sein.
- Werden Google News zu einem weiteren Erlösfeld?: Auch wenn Google aktuell abstreitet, von Unternehmen Geld dafür zu nehmen, damit diese in der News-Rubrik platziert werden – warum sollte dieses Non-Profit-Gebot in alle Ewigkeit bestehen bleiben? Google war immer kreativ, wenn es um die Erschließung neuer Erlösquellen ging.
- Google interessiert sich nicht für Journalismus: Dank seiner Marktposition diktiert Google die Regeln, an die sich Medienanbieter zu halten haben, wenn sie in der Trefferliste auftauchen wollen. Journalismus ist für Google kein Wert an sich, sondern kostbarer Rohstoff, der kostenlos frei Haus geliefert wird. Der Lieferant erhält Traffic, der Suchmaschinenbetreiber das Geld. Die Diskussion ethischer Fragen ist in diesem Kontext nicht vorgesehen. Welche Schlüsse ein Nutzer zieht, der nicht zwischen PR-Text und journalistischem Artikel unterscheiden kann, ist Google egal.
Das, denke ich, sollte aber Journalisten nicht egal sein.
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Lieber Jens Rehländer, erlauben Sie mir einige Bemerkungen:
1. „Das ist bares Geld für das traffic-basierte Werbegeschäft “ – hätte das der BDVZ nur auch so gesehen, ehe er das unseelige Leistungsschutzrecht mit aller Lobby-Macht platzierte. Dabei haben sie stets vom „Qualitätsjournalismus“ gefaselt – für mich übrigen ein Pleonasmus. Google scheint sich gar nicht richtig verhalten zu können, bei all den Ansprüchen, die die deutschen Medienhäuser ihn um die Ohren hauen.
2. „Ich sehe die Arbeitskreise in den Marketingabteilungen bereits vor mir, die darüber beraten, wie sie sich mit Unterstützung von SEO-Experten in der News-Rubrik von Google sichtbar machen können.“ SEO hat nicht direkt mit Google News zu tun. Für Google News muss man bestimmte Aufnahmekriterien erfüllen. Ich bin gespannt, wie Google diese nun ändern und ausgestalten wird.
3. Damit können Sie recht haben, aber wollen wir doch einmal abwarten, was Google nur wirklich tut. Google versucht immer Relevanz zu belohnen („Build great content and the rest will follow“). Da kann ein guter und kritischer Artikel im Kontext der Pressemitteilung Wunder wirken. Vielleicht ist das sogar der Trick: Ein 360 Grad Blick zu einem Thema? Warten wir es doch mal ab. Zumal die jetzige Lage auf GN nur entlarvt, wie viele journalistische Publikationen einfach DPA-Meldungen durchstecken. Vielleicht versucht Google genau dagegen anzugehen?
4. Verzeihen Sie mir, aber dieser Punkt ist höchst suggestiv. Kreativ zu sein ist Niemandem vorzuwerfen. Und im Gegensatz zu vielen Medienhäusern bietet Google im Bereich Adsense/Adwords eine klare Abgrenzung zwischen Inhalt und Anzeige an. Dass es diese Anzeigen auch auf der Suchmaschine platziert, finde ich genauso verwerflich, wie die Verquickung von Elitepartner mit dem Focus. Bitte also Karten auf den Tisch: Welche „Kreativität“ werfen Sie Google im Bereich Werbung denn nun vor? Und was lässt Sie darauf schließen, dass Google in Punkto Einkauf von Firmen die Unwahrheit erzählt? Ich schlage vor, wir verurteilen niemanden vor einer Tat – nicht einmal Google.
5. „Google interessiert sich nicht für Journalismus“. Da haben Sie voll und ganz recht. Nur scheinen Sie das als etwas Negatives zu interpretieren. Warum? Wäre es Ihnen lieber, Google würde sich um Journalismus kümmern? Es wäre für Google ein leichtes, zum Beispiel eine Redaktion für News auf die Beine zu stellen, die unabhängig und neutral arbeiten würde. Statt dessen hält sich die Firma hier gezielt raus. Google interessiert sich tatsächlich nicht dafür, weil es im Kern seines Geschäfts Texte auf Relevanz in vielen Bereichen untersucht. Dabei ist es den Algorithmen egal, ob wir Journalisten denken, es handle sich bei einem Text um Journalismus oder nicht. Und nochmal: WOLLEN wir, dass Google das anders macht?
Am Ende ist es die Aufgabe der Journalisten sich über den Journalismus zu unterhalten, was wir ja auch schon tun. Und da haben wir als Gesamtheit sehr viel verpasst – wir sind alle nicht unschuldig am Vertrauensverlust in den Medien. Soll uns Google nun davor retten? Nein, das müssen wir schon selbst tun, indem wir uns auf die Spielregeln von „Neuland“ einlassen und selbst Kreativität an den Tag legen. Und da sehe ich auch durchaus viel Gutes und immer neue Ansätze.
Nur eins hilft dabei aus meiner Sicht nicht: Ständig Google zu verteufeln.
Danke, lieber Herr Goldmann, für Ihren ausführlichen und sehr lesenswerten Kommentar. Ich bin weit davon entfernt, Google zu verteufeln. Ich weise nur auf Dinge hin, die ich für problematisch halte. In diesem Kontext vor allem den Fakt, dass ungeschulte Leser/innen in der News Rubrik demnächst nicht mehr zwischen zweckgetriebener Pressemitteilung und abwägendem Medienbericht unterscheiden.. (Dass ein „abwägender Medienbericht“ mehr inhaltliche Kriterien erfüllen muss als das Verwursten einer dpa-Meldung, reklamieren Sie zu Recht!) Auch ist die Feststellung, dass man sich bei Google für Journalismus nicht interessiert, kein Vorwurf. Bei Google will man Geld verdienen, nicht mehr und nicht weniger. Das sehe ich ganz realistisch. Aber die Vermischung von PR (ich bin selbst PR-Mann) und Journalismus bei Google News bürdet dem ohnehin im öffentlichen Ansehen arg gebeutelten Journalismus eine weitere Bürde für seine Reputation auf. Und wie wir wissen, ist Google häufig genug der Trendsetter für andere, d.h. schauen wir mal, wie sich das Role Model von Google weiter im Netz verbreitet – und welche Folgen das für die Integrität des Qualitätsjournalismus haben wird. Wie gesagt: kein Katastrophenszenario, kein Google-Bashing, sondern bloß die persönliche Reflexion einer nachdenklich stimmenden Nachricht.
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„Welche Schlüsse ein Nutzer zieht, der nicht zwischen PR-Text und journalistischem Artikel unterscheiden kann, ist Google egal.“
„In diesem Kontext vor allem den Fakt, dass ungeschulte Leser/innen in der News Rubrik demnächst nicht mehr zwischen zweckgetriebener Pressemitteilung und abwägendem Medienbericht unterscheiden.“
Ich frage mich: Von wem ist hier die Rede? Kennst du solche Leute? Ist das die sogenannte Unterschicht (also alle die Leute, die man mangels Schnittpunkten nie trifft)? Oder Leute, denen die Nachrichten egal sind und die sich einfach unterhalten lassen wollen (also z.B. der mMn typische Besucher von „Bild.de“ bzw. „spiegel.de“), bei denen wär’s doch eh egal? Oder wo kann ich diese Leute, die wohl auch zum Entscheiden zu dumm sind und für die wir Repräsentanten, kluge und vertrauenswürdige Volksvertreter brauchen, finden?
Welche Schlüsse ein Nutzer zieht, der nicht zwischen PR-Text und journalistischem Artikel unterscheiden kann, ist Google egal.
Für Nutzer, die zwischen PR-Text und Journalismus nicht unterscheiden können, wird sich nichts ändern.
Zwei Beispiele von vielen: In diesem redaktionellen Beitrag auf Sueddeutsche.de lerne ich, dass die Hersteller von Digitalkameras das Thema Bedienbarkeit verschlafen haben. Nur Samsung, das wird mehrfach im Artikel erwähnt, macht die Sache besser. Das sagt der einzige befragte Experte, der, Zufälle gibts, als PR-Berater arbeitet.
Zeit.de hatte sogar eine ganze Artikelreihe zum Thema Parfum, in der die Autorin erklärt, wie eklig Menschen sind, die kein hochwertiges Parfum benutzen. Für Interviews mit Parfumherstellern ist sie mindestens zweimal nach Paris geflogen. Hat das Zeit.de bezahlt, für Artikel, die im Schnitt 5 Kommentare bekommen haben?
Nein. Sie werden weniger Zeit aufwenden, um überforderte Onlineredaktionen zu beeinflussen, und die gesparte Zeit in andere Aktivitäten stecken. Das schadet den Presseverlagen, die weniger „Gratis-Artikel“ von PR-Agenturen geliefert bekommen, aber nicht unbedingt dem Journalismus.
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