Als ich noch in einem Hamburger Magazinverlag gearbeitet habe, dachte ich, die Patentrezepte für die Zukunft des (bezahlten) Journalismus müssten von uns kommen. Aus einer Medienfabrik, bevölkert von Tausenden bienenfleißigen Kreativarbeiterinnen und – arbeitern. Ein vibrierender Think Tank, in dem die meisten ein Ziel verfolgen: ein innovatives Geschäftsmodell zu entdecken – oder am besten gleich mehrere davon -, damit die Zuversicht zurückkehrt in eine Branche, der Selbstbewusstsein und ökonomische Wohlfahrt zusehends abhanden kommen.
Das, so dachte ich, sei unsere Mission.
Bis zu meinem Abgang wurde das Goldene Vlies leider nicht gefunden. Und auch die Wettbewerber in München und Berlin sind bis heute nicht erfolgreicher. Trotzdem trauen Medienbeobachter noch immer am ehesten den Inhaltefabriken zu, die lebensverlängernden Maßnahmen für qualitätsvollen Journalismus zu erfinden.
Ich sage es ungern, aber wer glaubt, die rettende Idee würde tatsächlich aus Großverlagen in kommen, der irrt. Allein ihre schiere Organisationsgröße verhindert radikales Umdenken. Wie andere Industriebetriebe verfügen auch Verlagskonzerne über ein enormes Beharrungsvermögen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen; das ist systembedingt. Sie sind zu überreglementiert, um sich auf Marktveränderungen einzustellen. Sie sind zu traditionsverhaftet, um sich ein anderes Geschäftsmodell überhaupt vorstellen zu können als jenes, das ihnen jahrzehntelang eine goldgerahmte Existenz beschert hat. Ihre Bürokratie ist hochdifferenziert und führt ein Eigenleben, unbeeindruckt von den sprunghaften Gestaltungswünschen wechselnder Vorstände. Und „der Apparat“ versteht es, das Einsickern neuer Ideen zu verhindern. Innovationen werden verwaltet, Ideen zerredet, Experimente vermieden – zumindest wenn sich der Erfolg nicht schon vor dem Start vorhersagen und in Cents und Euros berechnen lässt. Angststarre verhindert Wagemut. Revierverteidigung vs. Neuland.
Dass wir Redaktionen der Verlagsverwaltung Paroli bieten und den Aufbruch in die Zukunft selbst vorantreiben müssten, haben wir festangestellten Journalisten damals natürlich geahnt. Und unser schlechtes Gewissen kompensiert mit Verwünschungen der „Erbsenzähler“ und dem rituellen Vorwurf skandalöser Ideenlosigkeit an die Adresse der Vorgesetzten. Deshalb hörte kaum mehr einer auf unsere Nörgelei. Deshalb auch ist der Einfluss der Redaktionen inzwischen weitgehend aufgezehrt. Sie haben sich damit abgefunden, von anonymen Mächten auf dem Spielbrett hin und her geschoben und auch geopfert zu werden. Wer noch im Spiel ist, tut nach Leibeskräften, was er immer tat – nur vorsichtshalber noch viel, viel mehr davon.
Dass trotz der geballten Kreativkräfte auch die Großkonzerne keinen Kompass in eine bessere Zukunft haben, hat 2012 der Pilgerzug von Springer-Führungskräften ins Silicon Valley bewiesen. Nachdem man in den vielen Etagen des Springer-Hochhauses in Berlin niemanden mit einer guten Idee auftreiben konnte, wollte man welche aus dem Gelobten Land importieren. Doch an sichtbaren Mitbringseln aus Kalifornien sind bislang nur zu bestaunen: Kai Dieckmanns eigenes Redesign als Nerd mit Bart sowie die Einrichtung eines Inhouse-Inkubators mit – aus dem Stand – 100 Mann Besatzung: Axel Springer IdeAS Ventures („Wir arbeiten mit modernsten Technologien und agilen Methoden“).
Ob es eine gute Idee ist, einen Schnellen Brüter für Startups im Einflussbereich der eigenen Verlagsbehörde zu installieren, mag fraglich erscheinen. Wegweisend ist aber auf jeden Fall die Erkenntnis, die dahinter steht: Dass Großverlage aus sich heraus keine bahnbrechenden Ideen (mehr) hervorbringen können. Keine populäre Innovation im Mediengeschäft der letzten zehn Jahre, zumal im Internet, ist das Produkt eines deutschen Verlagskonzerns gewesen. Mag sein, dass sie das Know-how haben, gute Ideen richtig groß zu machen. Aber die Funken sprühen woanders.
Google, Facebook und andere Medienkonzerne, die zu schnell zu fett geworden sind, machen es inzwischen vor: Gute Ideen, auf die man selbst nicht mehr kommt, werden eingekauft und einverleibt. Shoppen gehen auch deutsche Medienkonzerne – und erwerben Tierfutterversender, Immobilienportale oder Special-Interest-Plattformen, die ohnehin schon gut laufen. Startups, zumal im Medienbereich, gelten als Sicherheitsrisiko und Störfall. Die prüft man in Deutschland gründlich und nach allen Regeln der Kunst – bevor man sich entscheidet, lieber die Finger davon zu lassen.
Auf dem internationalen Medienmarkt fällt das Zaudern der deutschen Großmedienmächte nicht weiter auf. In den USA lassen risikofreudige Investoren Visionäre nach Herzenslust experimentieren – und scheitern. No risk, no fun. Dort ist die Zuversicht vorhanden, dass irgendwann auch ein Volltreffer dabei sein wird, ein Medienformat, mit dem sich Geld verdienen lässt. Manches ist ja auch schon geglückt, weiteres wird folgen. Crisis? What crisis?
Was dem deutschen Journalismus fehlt, ist ein Bündnis von Kapital und Kreativität. Und der gemeinsame Mut zum fröhlichen Scheitern.
Es langt nicht mehr, sich dauerhaft in der Dauerkrise einzurichten und immer nur darauf zu warten, dass die anderen eine gute Idee haben.