Es ist fast vier Jahre her, seit ich GEO.de als Redaktionsleiter verlassen habe. Seither beobachte ich das Mediengeschehen im Digitalbereich vom Spielfeldrand, linke mich hinein via Twitter und Facebook. Und beobachte mit wachsender Beklemmung, mit welcher Inbrunst digital Publizierende sich an die Vision vom Internetjournalismus klammern. Von Jahr zu Jahr die immer gleichen Verheißungen und Durchhalteparolen. Die ritualisierte Verachtung für die erodierenden Geschäftsmodelle der Altpapier-Verlage. Die Hymnen und Verteufelungen, wenn in den USA mal wieder ein neues Medienformat Sogkraft entwickelt, etwa Huffington Post oder Buzzfeed. Sogleich erhebt sich dann die unvermeidliche Frage, ob dies nun der lange erwartete Durchbruch für den Online-Journalismus wird? Aber nein, das war er wieder nicht. Na ja, macht nichts. Irgendwann muss er ja kommen, der Durchbruch.
Altmedien sind nicht totzukriegen
Online-Journalismus ist der Strohhalm, an den sich vor allem die freien Journalisten klammern, die hochmotivierten Ich-und-Du-AGs. Doch hinter der chronischen Aufbruchsstimmung, der ständigen Nervosität ob all der ständig neuen Tools, Apps und Formate verbirgt sich hierzulande: Stillstand. Die im Internet dauernd tot gesagten “Altmedien” erweisen sich in Deutschland, trotz unübersehbarer Krisensymptome, als unerwartet resistent. Zumindest den großen Verlagen geht es immer noch gut – wohlgemerkt den Anteilseignern, nicht den Redaktionen -, und die Öffentlich-Rechtlichen sind sowieso “too big too fail”, d.h. die Zwangsgebühren sorgen dafür, dass bei ihnen die Sonne niemals untergeht.
Leser wollen nicht zahlen
Während die Online-Dienste der Altmedien ihre Reichweiten ständig ausbauen – und zwar mit Millionenzuwächsen an Besuchern pro Monat, nicht mit 50 oder 100 -, füllen die vielen, vielen Medien- und Journalismusblogs und -Portale die Nischen im Netz und sind für die Betreiber wie für ihre Leserinnen und Leser in erster Linie: Liebhaberei. Diese Online- Journalisten, so sie sich als unternehmerische Journalisten verstehen, verdienen kein Geld und die Nutzer wollen keines zahlen.
Auch die Großen ahmen nach statt zu erfinden
Dass es den großen Online-Diensten besser geht als den kleinen, dass sie Werbeplätze verkaufen können, liegt an den starken Print-Marken, deren Glanz auch auf sie strahlt. Ihnen verdanken sie Anziehungskraft, Glaubwürdigkeit, die Vorzüge eines eingespielten Redaktionsapparats und, bei den meisten, Quersubventionierung. Mit diesem Wettbewerbsvorteil spielen die Großen in ihrer eigenen Liga – und können zum Zwecke der Selbst-PR auch mal neue Formate ausprobieren, die gewöhnlich in den amerikanischen Online-Redaktionen erfunden und dann mit Zeitverzug importiert werden („Snowfall“, Datenjournalismus etc.). Solche Nachahmungen werden dann wieder von den Medienblogs als Innovation gefeiert – und als Zeichen für den nahen Durchbruch.
Die Altmedien führen den Digitaldiskurs an
Während die Theoretiker jede Woche einen neuen Hype mit hektischen Kommentaren durch die Blogosphäre und die sozialen Netzwerke treiben, scheitern die Praktiker: Die Zahl der über Jahre durch Crowdfunding finanzierten Recherchen liegt unter der Zahl von Reportagen, die etwa der STERN in einer einzigen Ausgabe druckt. Und die in der FAZ oder ZEIT publizierten Essays über den digitalen Wandel bestimmen die öffentliche Debatte sehr viel nachhaltiger und weitreichender als das einem so verdienstvollen Portal wie netzpolitik.org jemals beschieden sein wird.
Reich werden nur die Aggregatoren
Macht nichts, mögen die spezialisierten Blogger dagegen halten, wir haben eine kleine, feine Zielgruppe. Okay, antworte ich dann, aber weiß eure Zielgruppe euer Engagement auch zu wertschätzen, z.B. mit Spenden über flattr? – Schweigen.
Die einzigen, die Wertschöpfung aus journalistischem Wissen und Talent ziehen, sind Dienste, die mit Online-Journalismus nichts am Hut haben: Auch mit den kostenlosen Beiträgen und Nachrichten aus der Blogosphäre wurden Google, Facebook, Twitter zu milliardenwerten Unternehmen. Und Huffington Post und Buzzfeed und Reddit wenigstens zu zigmillionen teuren.
Nie gab es mehr gedruckte Medienvielfalt
Während aber die Romantiker weiter auf den Durchbruch des (bezahlten) Online-Journalismus warten, wächst die Zahl der neuen Printtitel. Niemals gab es mehr Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland – wenn auch viele davon in niedriger Auflage -, niemals mehr Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt. Und was den Nachwuchs an den Journalistenschulen in Hamburg, Köln oder München anlangt: Auch 2014 träumen die jungen Leute von einer Karriere beim STERN, bei der ZEIT, der Süddeutschen – wohlgemerkt in der Print-Redaktion, nicht im Online-Ressort.
Wer also den Glauben an Durchbruch des Online-Journalismus nicht aufgeben will, dem bleibt nur eines: ihn persönlich verwirklichen. Denn mehr Durchbruch wird nicht kommen.