Journalistinnen und Journalisten, die sich selbstständig machen wollen, ob freiwillig oder notgedrungen, haben häufig diffuse Vorstellungen vom Markt und dessen Akteuren. Persönliche Leidenschaft ersetzt aber keinen Businessplan. Wenn du ein journalistisches Startup gründen willst, absolviere den 11-Fragen-Crashtest. Wenn du danach immer noch glaubst, dass deine Idee gut ist, dann gib sie auf keinen Fall auf!
Eins:
In der Medienblase wird jede Woche ein neuer Hype gefeiert – während dem vorherigen schon wieder die Luft ausgeht. Kein „Snowfall„, keine SPIEGEL-Zeitungsdebatte 2020 hat dazu beitragen, dem (Online-)Journalismus eine wirtschaftliche Perspektive zu eröffnen. Frag dich, warum ausgerechnet deine Idee daran etwas ändern sollte.In den Traditionsverlagen werden viele Zahlungsmodelle für journalistische Online-Inhalte diskutiert. Frag dich, warum fast 40 Prozent der Journalisten für die Online-Inhalte ihres eigenen (!) Mediums kein Geld bezahlen würden (Bitkom-Umfrage, Mai 2014)
Zwei:
Dank ihrer Mischfinanzierung können sich die Marktführer unter den Onlinemedien ein Schaulaufen mit neuen, zumeist in den USA und Großbritannien abgeguckten journalistischen Darstellungsformen leisten. Damit beeindruckt man seine Chefs, die Konkurrenz und liefert den Medienkongressen was zum Diskutieren. Du aber solltest dich fragen, warum nur das Publikum sich überhaupt nicht beeindruckt zeigt und nach wie vor nicht bereit ist, für Online-Journalismus Geld zu bezahlen.
Drei:
Als Absolvent/in einer Journalistenschule stellst du fest, dass du trotz deiner exzellenten Ausbildung keine Festanstellung ergatterst. Deshalb musst du dich selbständig machen. Frag dich, warum deine Journalistenschule nicht eine einzige Stunde dem Thema Existenzgründung gewidmet hat.
Vier:
Vergleiche ein beliebiges journalistisches Crowdfunding-Projekt mit einem beliebigen Traditionsmedium in Deutschland. Frag dich dann, ob man einen komplexen Redaktions- und Verlagsapparat, der Qualitätsjournalismus produzieren soll, dauerhaft aus virtuellen Spendenbüchsen finanzieren kann.
Fünf:
Die Krautreporter wollen mit 900.000 Euro ein Jahr lang den „kaputten“ Online-Journalismus „wieder hinkriegen“. Das erfolgreichste journalistische Crowdfunding-Projekt in Deutschland ist so viel wert wie 14,6 ganzseitige Anzeigen im STERN. Frag dich, wie viele ganzseitige Anzeigen eine einzige STERN-Ausgabe hat.
Sechs:
Wer in der Medienblase die Ansicht vertritt, Print sei nicht tot, gilt als morbide und nicht als visionär. Frag dich trotzdem, warum die Zahl der Publikumszeitschriften in den letzten 15 Jahren um 40 Prozent, in den letzten fünf Jahren um 15 Prozent gewachsen ist?
Sieben:
Journalisten mögen keine Verlagskaufleute. Sie titulieren sie als „Erbsenzähler“ oder „Flanellmännchen“. Frag dich, warum ein Journalismus-Startup im Gegensatz zum Rest der Weltwirtschaft ohne kaufmännisches Know-how auskommen sollte.
Acht:
Risikokapitalgeber („Venture Capitalists“) haben einen Riecher für profitable Geschäftsideen mit Zukunft. Milliarden fließen ins Internet. Frag dich, warum kein einziger Dollar in den Online-Journalismus geht (mit Ausnahme vielleicht von Jeff Bezos‘ Investment bei der Washington Post).
Neun:
41 Prozent der freien Journalisten bei Zeitschriften verdienen jährlich weniger als 20.000 Euro. Ein Drittel: 20.000 bis 40.000 Euro. Das Durchschnittseinkommen der Deutschen liegt bei etwa 40.000 Euro. Frag dich, wie viel Geld du zum Leben brauchst. Erst recht, wenn du eine Frau bist. Denn die verdienen weniger.
Zehn:
Schrebergärten und Karnevalsvereine sind als gemeinnützig anerkannt. Frag dich, warum die Politik den Journalismus trotz seiner zivilgesellschaftlichen Bedeutung nicht als gemeinnützig anerkennt und damit alternative Produktionsmöglichkeiten für Qualitätsjournalismus verhindert. (Initiative Nonprofit-Journalismus des Netzwerks Recherche)
Elf:
Nach wie vor machen Journalisten vor allem den eigenen Geschmack zum Maß aller Dinge. Frag dich, warum sich immer noch keiner danach fragt, was das Publikum möchte?