Wissenschaftsjournalismus: Die Nische als Daseinsform?

Im Sommer 2015 protestierten freie Wissenschaftsjournalisten aus Rundfunk und Fernsehen gegen Streichungspläne des WDR. Doch anders als bei früheren Anlässen wurden die Delinquenten dieses Mal von einer spontanen Solidarisierungswelle begleitet. Dem Intendanten Tom Buhrow, der die Wissenschaftsberichterstattung zuvor als „Nische“ im Ökosystem seines Hauses geringschätzt hatte, setzte die Wissenschafts-Pressekonferenz WPK eine eilig erstellte Website „keine-nische.de“ entgegen, auf der Repräsentantinnen und Repräsentanten bunter Provenienz preisgaben, warum sie Wissenschaftsjournalismus für unverzichtbar halten.

Dies war, alles in allem, ein ermutigendes Engagement der Journalisten-Lobby. Dass sich Tom Buhrow in seiner Antwort davon trotzdem nicht beeindrucken ließ und seine Sparpläne nochmal erneuerte, dürfte niemanden wirklich überrascht haben. Sturheit gehört zum politischen Geschäft. Zum politischen Geschäft gehört aber auch: dranbleiben, nach dem Motto: steter Tropfen höhlt den Stein. Aber da war der Solidaritätsbewegung schon wieder die Puste ausgegangen. Wer heute die Website „keine-nische.de“ anklickt, findet als letzten Eintrag die Anfrage der WPK an Buhrow, ob man sich mal zum Gedankenaustausch treffen wolle, man werde „in den nächsten Wochen einen konkreten Vorschlag dafür erarbeiten“.

Dieser Eintrag datiert vom 16. Juli 2015.

Damit an dieser Stelle kein Missverständnis entsteht: Ich bin der Meinung, das Engagement der WPK-Funktionäre verdient jeden Dank und Respekt! Aber trotzdem stellt sich mir die Frage – auch wenn ich mir als PR-Mann darüber eigentlich keine Gedanken machen müsste -, wie der Wissenschaftsjournalismus sich denn aus seiner Nische befreien will?

Dass die Lage buchstäblich prekär ist, wissen in der Branche alle; das muss man nicht mehr herausarbeiten. Doch weil sich leider außerhalb der Branche niemand wirklich für die Nöte des Wissenschaftsjournalismus interessiert, stellt sich die Frage umso dringlicher: Gibt es einen Weg, der aus der Nische führt?

Beim Scheingefecht mit dem WDR wurde aus meiner Sicht die große Chance verpasst, eine Menge einflussreicher gesellschaftlicher Akteure hinter sich und gegen den WDR in Stellung zu bringen. Nicht um der Konfrontation willen, sondern um die Debatte über die Misere im Wissenschaftsjournalismus anhand des Fallbeispiels WDR endlich aus der Nische auf die ganz große Bühne zu transportieren, hinein ins Rampenlicht und in die Wahrnehmung von wichtigen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

„Keine-Nische“ hatte das Zeug für eine Kampagne, die deutlich macht, wie weit der Journalismus als Vierte Gewalt im demokratisch verfassten Staat geschwächt würde, wenn es keinen institutionalisierten Wissenschaftsjournalismus mehr gibt.

An dieser Stelle freilich rächt sich ein Versäumnis der letzten Jahre, das den Journalismus generell kennzeichnet: Schon viel früher hätten die Berufsverbände aus den Closed Shops ihrer schicken Medienkongresse und selbstreflexiven Tagungen heraustreten sollen, um bei externen Zielgruppen Lobbying in eigener Sache zu betreiben. Der sogenannten bürgerlichen Öffentlichkeit zu verdeutlichen, welche Leistung der Journalismus für das Gemeinwohl erbringt.

Klar, auch damit wäre sicher nicht erreicht worden, dass heute mehr Printzeitungen verkauft oder Planstellenstreichungen unterlassen würden. Aber es hätte den Druck auf die Politik und andere Player erhöht, sich dafür einzusetzen, die Zukunftschancen des gemeinwohlorientierten, anspruchsvollen Journalismus zu sichern – wie es z.B. auch das Grundgesetz explizit von der Politik fordert.

Auch die Akteure des Wissenschaftssystems hätten sich dann wohl nicht so behaglich auf den Zuschauerrängen einrichten können, von wo aus sie seither den Wissenschaftsjournalismus in erster Linie verbal stärken, weniger mit konkreten Hilfsangeboten.

Aber auch verstärktes Lobbying in eigener Sache wäre natürlich kein Patentrezept. Aus der Nische müssen sich Wissenschaftsjournalisten schon am eigenen Schopf herausziehen: mit mutigerem Auftreten in den Redaktionen, mit mehr gesellschaftsrelevanten Stories statt High End-Studien aus Science und Nature (mit deren späterem Widerruf ja manche Leser inzwischen schon von vornherein rechnen), mit mehr Mut für eigene Geschäftsideen, mit mehr Zusammenarbeit über Ressort- und Ländergrenzen hinweg, mit ….

Kurzum, es gibt ja auch jede Menge bislang ungenutzter Chancen, die. Andreas Sentker vom Wissenschaftsressort der ZEIT bei der letzten WissensWerte vor Fachpublikum beschwor.

 

Vielleicht muss man sich erstmal gegenseitig Mut machen, um gemeinsam was zu bewegen. Keine-Nische.de war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber wie geht´s jetzt weiter?

Das würde mich interessieren. Auch wenn ich mir als PR-Mann darüber eigentlich keine Gedanken machen müsste. (Aber mehr als 20 Jahre GEO-Sozialisation schüttelt man ja nicht einfach so ab…)

2 Gedanken zu „Wissenschaftsjournalismus: Die Nische als Daseinsform?

  1. Christian Eßer

    Lieber Herr Rehländer,

    Journalismus, da haben Sie recht, ist zunächst ein Anliegen, um das sich Journalisten zu kümmern haben, also auch die Verbände, in denen Journalisten organisiert sind. Die WPK, Deutschlands größter Verband für Wissenschaftsjournalisten, hat die keine-nische-Aktion initiiert, weil sich am Beispiel der WDR-Sparpläne wie in einem Brennglas zeigt, wie fatal sich geplante Programmreformen auf die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftsjournalisten und damit letzten Endes auch auf einen informierten öffentlichen Diskurs auswirken. An der Situation im WDR zeigt sich pars pro toto, wie sehr der Qualitätsjournalismus in Deutschland bedroht ist – und wie wichtig es daher ist, auf breiter, zivilgesellschaftlicher Front zu bekunden, dass diese Entwicklungen nicht hinnehmbar sind. Keine-nische hat eindrucksvoll gezeigt, dass ein großes Bündnis aus Journalisten, Medienrezipienten, prominenten Menschen des öffentlichen Lebens, renommierten Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen existiert, die eine Debatte über den Umgang mit der Wissenschaft in der Demokratie einklagt. Die VolkswagenStiftung war in Person des Generalsekretärs Dr. Krull und Ihnen dankenswerterweise ein wichtiger Teil dieses Bündnisses.

    Das Ringen darum, die Voraussetzungen für den Qualitätsjournalismus in Deutschland zu erhalten, ist somit kein Anliegen, dass man an die Journalisten allein delegieren kann. Wenn Sie aber schreiben, dass Sie sich als PR-Mann ja eigentlich keine Gedanken darüber machen müssten, wie der Wissenschaftsjournalismus sein bedrohtes Nischen-Dasein verlassen kann, dann zeigt sich darin genau jene problematische Haltung, mit der all jene zu kämpfen haben, die sich, wie etwa die WPK, darum bemühen, mit langem Atem Widerstand gegen Sparpläne und sich verschlechternde Arbeitsbedingungen zu organisieren. Denn Journalismus ist eben nicht allein ein Anliegen der Journalisten, sondern ein Anliegen all jener, die davon überzeugt sind, dass ohne einen informierten öffentlichen Diskurs die Demokratie nachhaltig Schaden nimmt. Journalisten (und ihre Verbände) benötigen Bündnispartner, also Menschen und Organisationen, die sich aktiv bemühen, die Situation von Journalisten zu verbessern, die mit ihren Möglichkeiten und eigeninitiativ einen essentiellen Beitrag dazu leisten, dass Anstöße wie keine-nische.de Wirkung entfalten können.

    Sie wissen, dass die WPK das keine-nische-Projekt keinesfalls aus den Augen verloren hat, dass wir seit längerem am Konzept für ein Symposium arbeiten, das den mit keine-nische gelegten Impuls konstruktiv und öffentlich weiterführen wird. Das kostet Hirnschmalz und Energie – also Ressourcen, über die die WPK reichlich, aber nicht endlos verfügt. Sie schreiben ja völlig richtig, dass sich in der Vergangenheit auch Akteure des Wissenschaftssystems behaglich auf den Zuschauerrängen eingerichtet haben, von wo aus sie seither den Wissenschaftsjournalismus in erster Linie verbal stärken, weniger mit konkreten Hilfsangeboten (und wir würden ergänzen, dass es sich, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen, auf den Rängen auch andere potente zivilgesellschaftliche Akteure wie etwa Stiftungen bequem gemacht haben). Das muss sich ändern – und das kann sich ändern.

    Auch in der Stiftungs- und Wissenschaftslandschaft ist das Bewusstsein gewachsen, dass der Journalismus bedroht ist und neue Wege beschritten werden müssen, um ihm eine tragfähige Perspektive zu bereiten. Daran ist, bei aller Bescheidenheit, die WPK nicht ganz unschuldig. Beharrlich entwickeln wir neue Ideen und stoßen Projekte an (wie das Science Media Center oder das Online-Debattenmagazin meta), vernetzen Menschen und Institutionen mit dem Ziel, den Wissenschaftsjournalismus aus der Nische zu führen. Das werden wir weiter tun, an Ideen mangelt es uns nicht. Aber zuweilen an den Ressourcen, die man nun mal auch benötigt, um Projekte realisieren zu können. Daran können viele Akteure etwas ändern – Journalisten, in dem sie u. a. die Verbände stärken, die für ihre Interessen streiten. Aber auch jene, die sich in der Vergangenheit nur allzu oft auf der Zuschauertribüne aufgehalten haben. Ein bekannter Demo-Ruf der Vergangenheit lautet: „Bürger lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein“. Wir glauben, der Satz hat an Aktualität nichts eingebüßt. Ohne bürgerschaftliches Engagement wird kein Qualitätsjournalismus überleben können, der seinen Namen verdient.

    Und, zu guter Letzt, sei noch darauf hingewiesen, dass man kein-nische Unrecht tut, wenn man darin primär eine verpasste Chance sieht, wie Sie es in Ihrem Blogeintrag nahe legen. Die Aktion hat im WDR-Rundfunkrat, im Sender selbst und in anderen ARD-Anstalten für viele Diskussionen gesorgt. In der ARD ist endlich eine Bereitschaft zu erkennen, dem tagesaktuellen Impact von Wissenschaftsthemen eine größere Bedeutung einzuräumen, was bereits zu einer größeren Präsenz von Wissenschaftsthemen in der Tagesschau (also jenseits der Nische) geführt hat. Und auch auf der WissensWerte-Konferenz im November 2015, die Ihnen hoffentlich noch in Erinnerung ist, haben wir in großer Runde über Wege aus der Nische diskutiert. Diese Debatte führen wir weiter, hoffentlich auch mit Ihrer Unterstützung.

    Martin Schneider, Claudia Ruby, Arndt Reuning, Nicola Kuhrt, Kathrin Zinkant
    Vorstand der WPK

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  2. Reiner Korbmann

    Lieber Jens Rehländer,
    ich hoffe, Ihr Blogpost zur Krise des Wissenschaftsjournalismus, die ich bereits in „Wissenschaft kommuniziert“ beschrieben hatte, ist ein Impuls für viele Kollegen, nicht mehr vor allem zu klagen, sondern endlich auch ihre eigenen Pläne zu machen, in die Hände zu spucken und daran zu gehen, die Krise zu bewältigen. Ich denke aber, um die Krise richtig einzuschätzen, hilft ein Blick in die Vergangenheit.
    Es geht dem Wissenschaftsjournalismus im Grunde genommen heute nicht schlechter als vor zwanzig/dreißig Jahren. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als auch in großen Zeitungen (etwa die SZ oder die ZEIT) ein Wissenschaftsredakteur für dieses Thema zuständig war, wo alle Zeitungen sich mit einer Wissenschaftsseite pro Woche begnügten, die dann auch oft genug noch durch eine Anzeige verkleinert wurde (große Ausnahme: die FAZ, hier gab es schon immer wöchentlich drei bis vierSeiten). Mit mehr Tiefgang beschreibt dies Walter Hömberg in seinem Klassiker „Das verspätete Ressort“.
    Dann kam die Initiative der Robert-Bosch-Stiftung zum Wissenschaftsjournalismus, auf politischer Ebene folgte die große Diskussion um den Forschungsstandort Deutschland, zugleich ging es den Verlagen plötzlich gut (Stichwort: Dot-Com-Blase) und sie dehnten die Wissenschaftsberichterstattung enorm aus (mehr Raum in den Zeitungen, neue Magzine, wie SZ Wissen, Zeit Wissen usw.). Selbst die ARD entdeckte (nach den privaten und dem ZDF) das Thema Wissenschaft für sich. In dauerhafte Redakteurstellen wurde dagegen nur begrenzt investiert, die Inhalte lieferten vor allem freie Wissenschaftsjournalisten. Daher stammt auch die Struktur des Wissenschaftsjournalismus in Deutschland, die für andere Ressorts ungewöhnlich ist (Ausnahme Feuilleton): viele Freie, nur wenige fest angestellte Wissenschaftsjournalisten.
    Genau betrachtet stecken wir ja derzeit nicht in einer Krise des Wissenschaftsjournalismus sondern in der Medienkrise. Davon sind die Wissenschaftsjournalisten ganz besonders betroffen,nicht nur weil „goldene Zeiten“ zu Ende gehen oder weil sie einen besonders teuren, sprich zeitaufwändigen Journalismus betreiben, sondern auch weil sie – angesichts der Struktur – in den Redaktionen schlecht verankert sind. Und da machen werden dann Kürzungen, die in anderen Ressorts vielleicht nur einen Prozentsatz ausmachen, besonders schmerzlich.
    Der Blick in die Vergangenheit soll kein „Früher war es auch nicht besser“ sein. Er kann hoffentlich bei der Analyse helfen, eine Lösung bietet er nicht. Für die Zukunft von Qualitätsjournalismus glaube ich aber, angesichts vieler Enttäuschungen, nicht an eine öffentlich-rechtliche Lösung, und auch nicht an einen stiftungsfinanzierten Journalismus (das würde dem Wesen von Stiftungen widersprechen – Neues anzustoßen, nicht aber Unfinanzierbares zu finanzieren – und könnte auch nur einen elitären kleinen Kreis von Journalisten tragen). Dass wir in unserer Gesellschaft einen guten, kritischen, gesellschaftsorientierten Journalismus brauchen, kann ich voll unterstreichen (auch wenn sich da Wissenschafts- wie andere Journalisten nicht immer mit Ruhm bekleckert haben).
    Wir alte Hasen (mit noch ein paar mehr Jahren wissenschaftsjournalistischer Sozialisation als Sie;-)) können bei der Analyse des Problems helfen. Die Lösungen müssen die Jungen selbst finden. Und dabei kommt es nach meiner Erfahrung vor allem auf Eigeninitiative an. Wir stecken in einer Medienkrise, und die Entwicklung in der Welt der Medien wird sich wohl eher nicht um das Wohl der Wissenschaftsjournalisten scheren.

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