Journalismus 2015: Biete Artikel gegen Anzeigen

Nehmen wir nur mal die Nachrichten der letzten Tage. Es fing damit an, dass ein ehemaliger Redakteur der Süddeutschen Zeitung dem Blatt vorwarf, im Jahr 2007 in einer Sonderbeilage redaktionelle Schleichwerbung betrieben zu haben. Stimmt alles nicht, konterte die Chefredaktion in einer Stellungnahme. Und wurde mittels (illegalem) Tonbandmitschnitt seitens des Informanten teilweise widerlegt.

Andere Massenmedien mochten auf den Fall nicht einsteigen. Gewiss mit Rücksicht darauf, dass man in puncto Vermischung von Redaktion und Werbung selbst genug eigene Leichen im Keller hat. Von daher ist es verwunderlich, warum ein so weit zurückliegender Fall überhaupt für kurzfristige Aufmerksamkeit („sz-Leaks“) sorgen konnte. Wer tief genug wühlt, könnte gewiss viel aktuellere Beispiele hervorbringen.

Fast zeitgleich schwappte aus Großbritannien die Nachricht von einem ökonomisch motivierten Akt der Selbstzensur herüber. Auslöser war die Amtsniederlegung des politischen Chefkommentators des Daily Telegraph, der seinen Schritt damit begründete, sein Blatt habe die kritische Berichterstattung über den aktuellen Finanzskandal bei der Großbank HSBC unterdrückt, um diese nicht als Anzeigenkundin zu verlieren.

Selbst der Industrie – das muss man sich mal vorstellen – ist inzwischen unbehaglich, dass die Trennlinie zwischen Werbung und Redaktion zusehends schmaler und für ungeübte Leserinnen und Leser kaum mehr wahrnehmbar wird. Der Arbeitskreis Corporate Compliance der deutschen Wirtschaft, darunter sind etliche der großen Dax-Unternehmen, stellte gerade einen „Kodex für die Medienarbeit von Unternehmen“ vor. „Unternehmen können heute in einem Ausmaß redaktionelle Berichterstattung kaufen, wie das früher völlig undenkbar war. Und sie machen davon Gebrauch”, sagt Jürgen Gramke, Vorsitzender des Arbeitskreises, im manager magazin. Und der Sprecher des Presserats, Tilmann Kruse, gibt im gleichen Medium resignierend zu Protokoll: Die für die Einhaltung der Trennung zwischen Werbung und Redaktion geltenden Landespressegesetze sowie der Pressekodex seien inzwischen wirkungslos, weil sie sich „ausschließlich an die Medienunternehmen richten“. Und die sind aus Sicht des Presserats wohl nicht mehr steuerbar.

Schon zum zweiten Mal übernimmt ausgerechnet die werbende Wirtschaft die Vormundschaft über die Medienhäuser. Vor ein paar Jahren strichen beliebte Journalistenreiseveranstalter wie z.B. die Automobilkonzerne ihre Incentives zusammen. Mit großer Geste strichen Airlines, Telekomunternehmen und Verlage ihre Journalistenrabatte zusammen, weil sie von passionierten Freibiertrinkern aus der Medienbranche überrannt wurden. Auf diese Weise wollten die Unternehmen dem Verdacht entkommen, durch Gefälligkeiten die Berichterstattung über sie zu manipulieren.

Seither weisen zwar einige Reiseberichtautoren in den überregionalen Blättern ganz am Schluss ihrer Texte mit einer Zeile darauf hin, dass sie auf Kosten eines Veranstalters unterwegs waren und nicht als Selbstzahler. Doch sonst blieb vieles beim Alten – inklusive hoher Zugriffszahlen auf Portale wie journalistenrabatte.de oder pressekonditionen.de.

Auch dieses Mal geht es der Industrie mit ihrer Selbstverpflichtung darum zu verhindern, dass die Werbeagenturen bei den Medien durchsetzen, was offenbar durchsetzbar ist, also die Vermischung von Werbung und Redaktion. Zumal in Zeiten des viralen Shitstorms sind die Kommunikationsabteilungen der Konzerne sensibel geworden, was das Reizbarkeitspotenzial ihrer Kunden anlangt.

Sensibler auf jeden Fall als die Medienbranche, die nach diesen jüngsten Befunden den Verdacht erweckt, mit purer Verzweiflung ihre Werbeflächen zu füllen, offline wie online, und dabei zu Zugeständnissen bereit sind, über die man wohl nur hinter vorgehaltener Hand mit den Kunden spricht.

Als Ex-Journalist unterstelle ich den Redaktionen, dass sie diesen sich beschleunigenden Trend nicht nur nicht gutheißen, sondern in ihren Häusern auch kräftig gegensteuern. Es steht viel auf dem Spiel. Erlöse und Glaubwürdigkeit. Kommt eines von beiden dauerhaft abhanden, ist der Journalismus erledigt.

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